Audio-Erinnerungen aus dem Bücherfrühlings-Archiv: Gustav Just

Heute Vormittag lief zufällig bei mir MDR Kultur. Ein Kalenderblatt-Beitrag, den ich vergeblich in der Mediathek suche, erinnerte mich an den 100. Geburtstag von Gustav Just.

Wir hatten das Glück, ihn im April 2003 unseren Gast nennen zu dürfen. Hilfreich dabei war wohl, dass Martin Just unser Freund und Unterstützer bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Schwerin war. Der Sohn machte es möglich, dass der gesundheitlich schon angeschlagene Gustav Just zu uns ins Ostseebad Boltenhagen kommen konnte.

Gustav Just am 10.04.2003 in Boltenhagen zur Person

Der Jahrgang 2003 war ein bemerkenswerter Bücherfrühlingsjahrgang. Das Thema lautete: „Übersetzer – die stilleren Helden des Literaturbetriebs„. Gustav Just war einer von diesen Helden.

Ein bewegtes mitteleuropäisches Leben im 20. Jahrhundert kann nur ein Leben voller Brüche sein. Für diese Feststellung steht Gustav Just ((Geboren am 16.06.2021 im böhmischen Reinowitz, gestorben am 23.02.2011 im brandenburgischen Prenden) exemplarisch.

Im Publikum saß der damals 90-jährige Pastor Erich Arndt. Beim Untergang der 6. Wehrmachtsarmee im Kessel von Stalingrad war Arndt der Divisionsseelsorger der 24. Panzerdivision. Diese 6. Armee wurde später in Frankreich neu aufgebaut. Gustav Just wurde dort einer ihrer Offiziere. Arndt und Just, die sich nicht kannten, überlebten das Weltkriegsinferno dank ihrer schweren Verwundungen und fanden beide eine politische Heimat der Wiedergutmachung und humanistischen Hoffnung in der Deutschen Demokratischen Republik. Dass Just dabei seinen Offiziersstatus zunächst verheimlichte, bewahrte ihn sicher vor der Internierung durch die sowjetische Besatzungsmacht, fiel ihm aber viel später doch auf die Füße.

Gustav Just war in den frühen 50er Jahren einer der bedeutendsten Kulturfunktionäre der DDR und hatte unmittelbar zu tun mit Persönlichkeiten vom Range Gret Palucca, Ernst Busch, Hanns Eisler, Walter Felsenstein, Anna Seghers. Johannes R. Becher hatte ihn für das Amt des Direktors der Akademie der Künste ausersehen. Bertold Brecht hätte ihn gern gesehen als Abteilungsleiter Literatur im Kulturministerium; doch er wurde für zwei Jahre Generalsekretär des Schriftstellerverbands. Mit dem Eingeständnis der kleinen biografischen Unwahrheit folgte die Degradierung zum stellvertretenden Chefredakteur der Zeitschrift des Kulturbundes „Sonntag“.

Es kam das unruhige Jahr 1956 mit seinen enttäuschten Hoffnungen auf Befreiung des Sozialismus vom Stalinschen Diktatorengeist. Just gehörte zu einem denkzirkel mit Walter Janka und Wolfgang Harig. Als die Gruppe Ulbricht die Oberhand gewann und zur politisch-juristischen Abrechnung mit den kritischen Geistern ausholte, wurde Just zunächst als zeuge vor Gericht zitiert und noch im Zeugenstand verhaftet und angeklagt.

Hier ergibt sich übrigens eine weitere Schnittmenge zu einem unserer Gast-AutorFriedrich Wolff. Der große Jurist, der 2002 unser Gast war, verteidigte zwei Mitangeklagte von Gustav Just.

Die Zuchthaus-Erfahrungen stellten die Weichen zu jenem neuen Lebensabschnitt, in dem Gustav Just zu einem der bedeutendsten Übersetzer der tschichischen und slowakischen Literatur wurde. Mehr als 120 Bücher kamen zusammen. Hier noch ein Ausschnitt aus unserem Porträtgespräch mit Lesung.

Gustav Just erzählt, warum er den Schwejk nicht neu übersetzte

Wir hatten Gustav Just als Übersetzer eingeladen. Er sprach über ein großes Werk der DDR-Vorlage, allen voran Volk und Welt, an dem er beteiligt war: die Literatur der Völker des Ostens in die deutsche Sprache geholt zu haben. Dazu las er einen Text aus Karel Čapeks Reisebildern aus den 30er Jahren. Es geht um Stockholm.

Gustav Just spricht über das große Übersetzerwerk der DDR-Verlage und liest ein Reisebild von Karel Čapek über Stockholm der 30er Jahre

Mir kam in Boltenhagen eine schöne, aber leider verspätete Idee. Die Texte in der Übersetzung Gustav Justs sollten der Nachwelt erhalten bleiben auch in jenem böhmischen Duktus, der verloren geht mit dem Vergehen der Generation der Vorkriegskinder. Die Berliner Blindenhörbücherei hatte auch schon andere Autoren ihre Bücher für ihre blinden Nutzer selbst einlesen lassen. Wenn auch Gustav Just dies tun würde, wäre das ein Stück von Kulturbewahrung jenseits des Kommerzes, für den solch ein Werk ja uninteressant war.

Der Plan war nicht mehr umsetzbar. Wegen der chronischen Bronchitis des 82-Jährigen wäre dieses Unterfangen eine einzige Quälerei geworden. Wie schön es hätte sein können, soll ein Ausschnitt aus unserem denkwürdigen Nachmittags im April 2003 belegen.

Gustav Just liest nach kurzer Einleitung von Peter Karvaš „Die Auferweckhung des Lazarus“

Weitere Fakten und Informationen enthält ein Dosier zu Gustav Just für die Teilnehmer des V. Boltenhagener Bücherfrühlings.