Josê Saramago

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Natürlich kommt der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1998 nicht selber zum IV. Boltenhagener Bücherfrühling. Es kommt aber Reiner Unglaub, der Sprecher des Hörbuches, das 1998 auf 6 Kassetten im Studio und Verlag für Hörbuchproduktionen Beltershausen erschienen ist (Regie: Hans Eckardt).

Am 17. April 2002 strahlte Radio 3 im NDR-Bereich die Hörspielfassung der "Stadt der Blinden" aus. Siehe dazu auch die Rezension von jt zu Hörspiel und Hörbuch!

Zur Biographie

José M. Sousa Saramago wurde am 16. November 1922 in Azinhaga, einem Dorf in der portugiesischen Provinz Ribatejo, als Sohn eines Landarbeiters geboren und wuchs ab dem 2. Lebensjahr in Lissabon auf. Er besuchte ein Gymnasium in Lissabon, das er aus finanziellen Gründen vorzeitig verließ, um eine Ausbildung als Maschinenschlosser zu absolvieren (Prüfung 1939).

Im erlernten Beruf war Saramago anschließend zwei Jahre lang tätig. Danach arbeitete er u. a. als Büroangestellter. Ab 1955 hielt er sich regelmäßig im Literatencafé "Chiado" auf. Er arbeitete im Verlag "Estúdios Cor" und trat später auch mit eigenen Veröffentlichungen hervor. 1966 erschien sein erster Gedichtband, "Os poemas possíveis" (deutsch: Die möglichen Gedichte), dem er weitere Gedichte, Chroniken und Kurzgeschichten folgen ließ. Ab 1968 war er auch journalistisch tätig. Als politischer Kommentator und Literaturkritiker arbeitete Saramago für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen (u. a. "Diário de Lisboa").

Seit 1969 Mitglied der Kommunistischen Partei Portugals, versuchte er eigenen Angaben zufolge mit seinen "bescheidenen Mitteln" gegen die Zensur des Salazar-Regimes anzukämpfen und setzte sich für freie Meinungsäußerung ein. "Ich bin nicht inhaftiert und auch nie verhaftet worden", so S., "aber ich mußte geheim arbeiten, im Untergrund" (FAZ Mag., 20.2.1987). Nach der Revolution im Jahre 1974 arbeitete er im Ministerium für Kommunikation. 1975 war er stellv. Chefredakteur der Zeitung "Diário de Notícias".

Nachdem sich die sozialistische Perspektive der Revolution zerschlagen hatte, finanzierte er eine Zeitlang seinen Lebensunterhalt mit Übersetzungen.

Heute zählt Saramago zu den meistgelesenen und meistübersetzten portugiesischen Schriftstellern. Charakteristisch für den Erzählstil seiner Romane ist eine bilderreiche, oft barock anmutende Sprache, die meist in feiner Ironie oder auch ätzendem Sarkasmus gebrochen wird. Saramagos erster Roman, "Manual de pintura e caligrafia", erschien 1977. Der Durchbruch gelang ihm 1980 mit dem Roman "Levantado do chao" (deutsch: Hoffnung im Alentejo), einer Familienchronik aus dem kargen Alentejo über mehrere Generationen, beginnend mit dem Landarbeiter Mau-Tempo, der von einem Dorf ins andere zieht, dem Alkohol verfällt, Frau und Kinder schlägt und sich schließlich erhängt. Der Roman endet mit den ersten Landbesetzungen im Jahre 1975. Saramagos nächster Roman, "Das Memorial" (1982), sicherte ihm dann die internationale Anerkennung. Der Bestseller erreichte mehr als fünfzehn Auflagen und wurde in 28 Sprachen übersetzt. Saramago erzählt darin die Geschichte des Klosterbaus von Mafra, eines monumentalen Projekts, das König Joao V. 1717 in Auftrag gegeben hatte und 2.000 Bauarbeiter das Leben kostete. (vgl. auch Rezension zur Hörspielfassung!)

Innerhalb dieser Rahmenhandlung spielt sich die Liebesgeschichte zwischen dem einhändigen Soldaten Baltasar und der Seherin Blimunda ab, außerdem der Versuch von Pater Bartholomeus, einen Flugapparat zu bauen.

Auch der 1984 erschienene Roman "O ano da morte de Ricardo Reis" (deutsch: Das Todesjahr des Ricardo Reis) wendet sich Vergangenem zu: 1935, im Todesjahr des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa, lässt Saramago dessen literarisches Geschöpf, den Dichter Ricardo Reis, aus dem brasilianischen Exil nach Portugal zurückkehren, wo er dem Geist des toten Pessoa begegnet. Nach dem symbolträchtigen Roman "A jangada de pedra" (1986, deutsch: Das steinerne Floß), in dem sich die Iberische Halbinsel vom übrigen Europa ablöst und im Atlantik dahintreibt, nahm sich Saramago 1989 mit "História do cerco de Lisboa" (deutsch: Geschichte der Belagerung von Lissabon) wieder eines historischen Themas an.

Saramagos siebter Roman, "Das Evangelium nach Jesus Christus" (1991), führte zu kontroversen Diskussionen. Das Buch, das den Gottessohn nicht nur als lebenshungrigen und wißbegierigen Jüngling zeichnet, sondern auch an Glauben und Wundern zweifeln lässt, wurde auf Veranlassung eines Unterstaatssekretärs wegen angeblicher "Verletzung religiöser Gefühle" von der Vorschlagsliste für den Europäischen Literaturpreis gestrichen. Saramago beklagte, dass "so etwas in Portugal noch immer möglich ist". Von der Verblendung durch Ideologie handelt sein nächster Roman, "Ensaio sobre a cegueira" (1995; deutsch: 1997), in dem Saramago die Gewalt in der Welt als Folge der blinden, ethischer Maßstäbe beraubten Vernunft deutet und die Blinden aufgrund ihrer Krankheit immer aggressiver werden ließ. Verena Auffermann nannte diesen Roman in der ZEIT (17.10.1998) "einen moralischen Großangriff", und die Süddeutsche Zeitung (15.10.1997) lobte u. a. den "Ton kluger Humanität".

1995 erschienen sechs Erzählungen aus dem Jahr 1978 in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Der Stuhl und andere Dinge". "Wie in einem literarischen musée imaginaire" (FAZ, 5.12.1995) führt Saramago hier nach Kritikermeinung Elemente disparater Kulturen zu einem anachronistischen Dialog zusammen, z. B. zwischen der filmischen Western-Mythologie und dem biblischen Schöpfungsbericht. 1997 legte Saramago unter dem Titel "Todos os nomes" einen weiteren Roman vor, der von einer obsessiven Erinnerung an einen früh verstorbenen Bruder ausgeht.

Der in den vorangegangenen Jahren schon öfter als Anwärter für den Literaturnobelpreis ins Gespräch gebrachte Saramago wurde 1998 mit dieser international renommierten Auszeichnung geehrt. Zum ersten Mal in der fast einhundertjährigen Geschichte des Literaturnobelpreises wurde mit ihm ein portugiesischer Schriftsteller gewürdigt. In der Begründung der Schwedischen Akademie hieß es, Saramago habe "mit Gleichnissen, getragen von Phantasie, Mitgefühl und Ironie, ständig aufs Neue eine entfliehende Wirklichkeit greifbar gemacht". Der Schriftsteller selbst nannte den Preis "eine große Verpflichtung".

Familie:

In zweiter Ehe ist Saramago seit 1988 mit der früheren Journalistin und Übersetzerin Pilar del Rio verheiratet.

Aus erster Ehe hat er eine Tochter Violante. Seinen Lebensmittelpunkt verlegte Saramago 1993 auf die spanische Insel Lanzarote.

Die obigen Angaben stützen sich auf das © Munzinger Archiv. Hier noch ein Link im Internet: Ein Text von Martin Heiden, Uni Köln 1999

Romane:

  • "Handbuch der Malerei und Kalligraphie" (77),
  • "Hoffnung im Alentejo" (80; dt. 85),
  • "Das Memorial" (82; dt. 86),
  • "Das Todesjahr des Ricardo Reis" (84; dt. 88),
  • "Das steinerne Floß" (86; dt. 90),
  • "Geschichte der Belagerung von Lissabon" (89; dt. 92),
  • "Das Evangelium nach Jesus Christus" (91; dt. 93),
  • "Ensaio sobre a cegueira" (95),
  • "Todos os nomes" (97; Roman).
  • "Die Geschichte von der unbekannten Insel". Aus dem Portugiesischen. 1998.
  • "Alle Namen". Roman. Aus dem Portugiesischen. 1999.
  • "Die Höhle"
  • "Das Zentrum" (dt. 2002)
  • Weitere Veröffentlichungen u. a.:

  • "Os poemas possíveis" (66; Ged.),
  • "Deste mundo e do outro" (71; Chronik),
  • "A bagagem do viajante" (73; Chronik),
  • "O ano de 1993" (75; Ged.),
  • "Os apontamentos" (76; polit. Kommentare),
  • "Objecto quase" (78; dt. 95, Der Stuhl und andere Dinge; Erz.),
  • "Viagem a Portugal. Círculo de Leitores" (81; Ess),
  • "A segunda vida de Francisco de Assis" (87; Drama),
  • "In nomine Dei" (93; Drama).

Preise/Auszeichnungen:

  • Prémio PEN Club Português (83; 84),
  • Prémio da Crítica da Associaçao Portuguesa (86),
  • Grande Prémio de Romance e Novela (91),
  • Prémio Vida Literária (93),
  • Preis der britischen Tageszeitung "The Independent" (93),
  • Camoes-Preis (95),
  • Literaturnobelpreis (98).

"Die Stadt der Blinden

Bemerkung zur Betroffenheit

"Die Stadt der Blinden" ist weder als Roman noch als Hörspiel oder Hörbuch leichte Kost. Das Szenario, was sich infolge der Erblindung aller Bewohner des fiktiven Gemeinwesens entwickelt, ist in höchstem Maße brutal, denn es verschwinden die Grundlagen menschlichen Zusammenlebens. Daher greift F.J.Hanke in seiner Rezension sicher ein Missverständnis auf, wenn er schreibt:

Unter Blinden, ihren Angehörigen und Freunden ist Jose Saramagos Roman aber nicht unumstritten. Das Bild, das er von Blinden zeichnet, ist vielen zu negativ; die Blinden in seinem Buch sind unselbständig, schmutzig und grausam. Die Blindheit beschreibt er als schweren Schicksalsschlag, der die Menschen - vielleicht verdienterweise - ins Verderben reißt. Von einer Sekunde auf die andere erblinden die Bewohner einer Stadt, eines ganzen Landes, und das Chaos zieht ein.

Hanke selbst hat den Autor mit dieser Ansicht konfrontiert und gibt dessen Sicht wieder, weshalb darauf hier nicht weiter einzugehen ist. Aber dass es blinde Rezipienten zu geben scheint, die hier ein Image-Problem für sich und ihresgleichen zu erblicken meinen, ist doch noch eines kurzen Kommentars wert.

Es gibt bei Saramago nur einen "gelernten" Blinden. Der ist auch kein eben guter Mensch, aber Blindheit trifft nun mal Gute und Böse gleichermaßen. Da ist das Schicksal - oder wer auch sonst die Karten mischt - eben gerecht, wenn wir es mal mit unseren Maßstäben bedenken. Doch dieser Blinde beherrscht im Roman Techniken, über die die anderen, die Neublinden, nicht verfügen. Er kann Schreiben, also für das organisierte Verbrechen Buch führen.

Wenn es Blinde gibt, die da sagen: "Nein, so sind wir nicht!", haben sie natürlich recht. Aber sie sind Blinde in einer Welt von Sehenden. Denen gegenüber fühlen sie sich behindert und sind es gerade unter dieser Messlatte. Aber auch alles, was sie lebensfähig macht, erhalten sie in der Welt der Sehenden, vieles, ja das Essentielle, ist außerhalb dieser Welt undenkbar. Aber genau diese Welt lässt Josê Saramago zusammenbrechen. Wofür immer das das Gleichnis sein mag, wenn die Gesellschaft derart implodiert, dann Gnade uns allen, den Sehenden wie den Blinden. Doch sind wir nicht alle ein wenig Blinde? Und wem oder was hilft es, ein Seher zu sein?

Weitere Bücher von Josê Saramago

Dem grandiosen "Die Stadt der Blinden" folgten zwei weitere Romane, die mit dem ersten eine Art Trilogie bilden.

 

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Erstellt am 20.04.2002Zuletzt geändert am 08.08.2002 00:22