Abschnitt 1.02 Speziellere Grundlagen für die Untersuchung von Eigentumsverhältnissen in der LandwirtschaftEntscheidende methodologische Ausgangspunkte wie auch wichtige inhaltliche Grundgedanken einer dialektisch-materialistischen Behandlung der Agrarfrage gehen zurück auf Marx´ Forschungen zur kapitalistischen Grundrente und ihre Darstellung im dritten Band des "Kapitals". Allerdings erst zu Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als die "sozialistischen Parteien der Marxschen Richtung" soweit konsolidiert waren, daß sie als Arbeiterparteien von der Stadt aufs gehen konnten, war eine systematische Ausarbeitung der theoretischen Grundlagen einer marxistischen Agrarpolitik unmittelbar auf die Tagesordnung gesetzt. Die herausragendste Arbeit dieser Periode ist zweifellos Engels "Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland". Auf die folgenden Grundgedanken dieser Schrift stützen sich die weiteren Entwicklungen.
Mehr ins Einzelne gehende Skizzierung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft ist vor dem praktischen Beginn der sozialistischen Revolution weder möglich noch notwendig. Allerdings konnten aus der dialektisch-materialistischen Analyse der Agrarverhältnisse im Kapitalismus - speziell der Rolle von Handels-, Industrie- und Bankkapital sowie der modernen Verkehrs- und Kommunikationsorganisation - entscheidende Hebel in den Händen des siegreichen Proletariats vorherbestimmt werden. So schrieb Karl Kautsky in seiner 1899 veröffentlichten "Agrarfrage", die Lenin "nach dem dritten Band des ´Kapitals` die hervorragendste Erscheinung der neueren ökonomischen Literatur" Quelle! nannte: "...das heute so mächtig wirkende Hindernis des unbeschränkten Privateigentums an Boden ist durch die Verstaatlichung der Hypotheken, die wachsende Abhängigkeit der Bauern von den verstaatlichten landwirtschaftlichen Industrien, durch das zunehmende Aufsichts- und Eingriffsrecht des Staates in Sachen Landeskultur, der menschlichen und tierischen Hygiene, auf ein Minimum reduziert worden." Quelle! Die unmittelbare Umgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion durch genossenschaftlichen Zusammenschluß muß in diesem Lichte bereits als eine höhere Stufe der Subsumtion angesehen werden. Das Schwergewicht in Lenins Arbeiten zur Agrarfrage lag vor 1917 ganz klar auf der Analyse der Ablösung feudaler durch kapitalistische Produktionsverhältnisse im damaligen Rußland. Das ermöglichte vor allem eine wissenschaftliche Bestimmung der Agrarpolitik der Arbeiterpartei bei der Vorbereitung und Durchführung sowohl der demokratischen als auch der sozialistischen Revolution. In methodologischer Hinsicht sind diese Untersuchungen in vielfältiger Weise fruchtbar auch für die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft. Das wird deutlich, wenn man der Frage nach der Bedeutung der Kategorie Eigentum in Lenins agrarökonomischen Analysen nachgeht. In seiner Kritik der Volkstümler wies Lenin jene Auffassung als wirklichkeitsfremde Abstraktion zurück, wonach "das Eigentum des Produzenten an den Produktionsmitteln ein 'althergebrachtes' Prinzip, ein 'ewiger Grundpfeiler' der bäuerlichen Arbeit" Quelle! sei. In dieser Anschauung wird abstrahiert vom gesellschaftlichen Beziehungsgefüge, wodurch das Wesentliche verloren geht, nämlich daß "die heutige Expropriation der Bauernschaft aus der Ablösung des feudalen Mehrprodukts durch den bürgerlichen Mehrwert" Quelle! resultiert. Folgendes wird schon hier ersichtlich. Das sozialökonomische Wesen einer gegebenen Agrarverfassung suchte Lenin keineswegs in der isolierten Beziehung der Produzenten zu den Produktionsmitteln. Als wesentliche Beziehung galt ihm vielmehr die zwischen Produzenten und Eigentümer, also zwischen den Klassen. "Erst nachdem klargestellt ist, mit welchen Klassen und welcher Entwicklungsrichtung wir es zu tun haben, können Teilfragen, wie das Entwicklungstempo oder anderen Abwandlungen in der allgemeinen Richtung usw., behandelt werden." Quelle! Bezogen auf die Produktionsweise sind damit Teilbeziehungen, wie sie sich im Bodeneigentum ausdrücken, untergeordnet. Mit Bezugnahme auf Marx unterstrich Lenin: "Das Kapital findet mittelalterlichen und patriarchalischen Grundbesitz der verschiedensten Art vor: sowohl feudalen Grundbesitz und bäuerlichen 'Anteilbesitz' (d.h. abhängiges bäuerliches Eigentum) als auch Clan-, Marktgemeinschafts-, Staatseigentum usw. Das Kapital ordnet sich alle diese Arten des Grundbesitzes unter, doch in verschiedener Form, auf verschiedene Weise." Und diese Form ist der Produktionsweise untergeordnet: "Die Quelle! Obgleich die Eigentumsbeziehungen der Landwirtschaft - und erst recht einzelne ihrer Seiten - gegenüber dem gesellschaftlich herrschenden Produktionsverhältnis das Abgeleitete, Untergeordnete sind, beeinflussen sie doch in hohem Maße Formen, Kräftekonstellationen und Entwicklungstempo bei der Durchsetzung der gesellschaftlichen Produktionsweise (was grundsätzlich nicht nur für die kapitalistische, sondern auch für die sozialistische Produktionsweise gilt). Diesen Aspekt der Beziehung zwischen gesellschaftlich herrschendem Eigentumsverhältnis und dem Eigentum in der Landwirtschaft verdeutlichen Lenins Ausführungen zu den beiden Grundtypen der kapitalistischen Entwicklung der Landwirtschaft, dem preußischen und dem amerikanischen.Quelle! In seinen fundamentalen agrarökonomischen Arbeiten zwischen 1893 ("Neue wirtschaftliche Vorgänge im bäuerlichen Leben") und 1899 ("Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland"), aber auch noch in den folgenden Jahren, analysierte Lenin sehr detailliert den Einfluß jeder einzelnen Seite der Produktivkräfte auf die Entwicklung der Produktionsverhältnisse und damit des Eigentums. So betrachtet er die Größe der genutzten Bodenfläche, den Umfang und die Qualität des toten und lebenden Inventars, die Maschinenanwendung, die Verkehrsverhältnisse, die verarbeitende Industrie, den Handel u. a. Doch das sozialökonomische Wesen der Eigentumsverhältnisse enthüllte sich ihm in der Bewegung des Produkts und insbesondere des Mehrprodukts. In dieser Bewegung verwirklichen sich die ökonomischen Beziehungen der Klassen. Die angedeutete Herangehensweise ermöglichte es Lenin, nach der Machtergreifung des russischen Proletariats die Strategie des sozialistisch-kommunistischen Aufbaus zu entwickeln, deren untrennbarer Bestandteil der Plan der Umgestaltung der privatbäuerlichen Landwirtschaft ist. "Eine Gesellschaft, in der der Klassenunterschied zwischen Arbeitern und Bauern weiterbesteht, ist weder eine kommunistische, noch eine sozialistische Gesellschaft",Quelle! denn "der Bauer ist seiner Lebensweise, seinen Produktionsbedingungen und seiner Wirtschaftsweise nach zur Hälfte Werktätiger, zur Hälfte Spekulant"Quelle! (weil Privateigentümer). Das sozialistische Wesen der Vergesellschaftung der Agrarproduktion und damit auch der Vereinigungen (Genossenschaften) der Bauern ist abhängig von den gesamtgesellschaftlich herrschenden Produktionsverhältnissen. "Den zersplitterten Kleinproduzenten, den Bauer, vereinigt ökonomisch und politisch entweder die Bourgeoisie ... oder das Proletariat ..."Quelle! Es besteht kein Zweifel, daß der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in verschiedenen Formen denkbar ist, je nachdem, ob wir im Lande bereits überwiegend großkapitalistische Verhältnisse haben oder ob der Kleinbetrieb überwiegt."Quelle!
Hier ist nicht der Ort für eine systematische Darstellung der Leninschen Strategie der genossenschaftlichen Umgestaltung der Landwirtschaft. Der "Leninsche Genossenschaftsplan" als ihre Zusammenfassung ist fester Bestandteil der ökonomischen Lehrprogramme. Hier soll abschließend nochmals die theoretische Grundposition betont werden, die auch den nachfolgenden Kapiteln zugrunde liegt. Charakter und Tendenz der Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft werden bestimmt durch Produktionsverhältnisse, die sich außerhalb von ihr entwickeln. Daher sind die Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft - bei aller Eigengesetzlichkeit ihrer Entwicklung - abgeleitete Beziehungen, deren Wesen nur in dieser Ableitung aufgedeckt werden kann. Mit anderen Worten: Die genossenschaftliche Umgestaltung der Landwirtschaft kann nur als Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Umwälzung der sozialökonomischen Verhältnisse begriffen werden, weshalb wir auch von genossenschaftlich-sozialistischer Umgestaltung sprechen. Die Subsumtion der vorgefundenen Agrarverhältnisse kann nichts anderes sein als ein Prozeß, der - bei aller Vielfalt seiner Ausgangsbedingungen - über verschiedene Zwischenstufen zu einem gesetzmäßigen Ergebnis kommt, nämlich zu einer Struktur der Eigentumsverhältnisse, die der gesellschaftlich herrschenden Produktionsweise adäquat ist. |