Abschnitt 1.02 Speziellere Grundlagen für die Untersuchung von Eigentumsverhältnissen in der Landwirtschaft

Entscheidende methodologische Ausgangspunkte wie auch wichtige inhaltliche Grundgedanken einer dialektisch-materialistischen Behandlung der Agrarfrage gehen zurück auf Marx´ Forschungen zur kapitalistischen Grundrente und ihre Darstellung im dritten Band des "Kapitals". Allerdings erst zu Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als die "sozialistischen Parteien der Marxschen Richtung" soweit konsolidiert waren, daß sie als Arbeiterparteien von der Stadt aufs gehen konnten, war eine systematische Ausarbeitung der theoretischen Grundlagen einer marxistischen Agrarpolitik unmittelbar auf die Tagesordnung gesetzt. Die herausragendste Arbeit dieser Periode ist zweifellos Engels "Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland". Auf die folgenden Grundgedanken dieser Schrift stützen sich die weiteren Entwicklungen.

  1. Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft steht auf der Tagesordnung, bevor die kapitalistische Produktionsweise ihre letzte Konsequenz erreicht hat. "Es kann uns nicht dienen, wenn wir mit dieser Umgestaltung warten müssen, bis die kapitalistische Produktion sich überall auf ihre letzten Konsequenzen entwickelt hat, bis auch der letzte Kleinhandwerker und der letzte Kleinbauer dem kapitalistischen Großbetrieb zum Opfer gefallen sind."Quelle!
  2. Die sozialistische Umgestaltung bedeutet nicht einfach, Arbeit und Eigentum, "diese beiden Faktoren aller Produktion in denselben Händen zu vereinigen." Aufgabe des Sozialismus "ist vielmehr nur die Übertragung der Produktionsmittel an die Produzenten als Gemeinbesitz."Quelle!
  3. Formen und Methoden des Übergangs zur sozialistischen Großproduktion sind abhängig vom Grad der Kapitalisierung der Landwirtschaft, von dem die sozialistische Umgestaltung auszugehen hat. Dort, wo bereits kapitalistischer Betrieb existiert, ist analog den Fabriken zu verfahren; Überlassung an die "sie schon jetzt bebauenden, in Genossenschaften zu organisierenden Landarbeitern zur Benutzung unter Kontrolle der Gesamtheit." Quelle!
    Dort, wo Bauern existieren, die schon Lohnarbeit anwenden, kommt es auf zweierlei an: Bündnis mit allen Lohnarbeitern, allmähliche Beseitigung der Ausbeutung von Lohnarbeit durch Groß- und Mittelbauern und Einleitung der "Zusammenlegung deren Güter zu genossenschaftlichen Betrieben ... und die allmähliche Verwandlung in gleichberechtigte und gleichverpflichtete Zweige der großen nationalen Produktionsgenossenschaft"Quelle!,
    wobei Anwendung von Gewalt nicht wünschenswert ist. Gegenüber den Kleinbauern gilt: "Unsere Aufgabe gegenüber dem Kleinbauern besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck." Quelle!

Mehr ins Einzelne gehende Skizzierung der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft ist vor dem praktischen Beginn der sozialistischen Revolution weder möglich noch notwendig. Allerdings konnten aus der dialektisch-materialistischen Analyse der Agrarverhältnisse im Kapitalismus - speziell der Rolle von Handels-, Industrie- und Bankkapital sowie der modernen Verkehrs- und Kommunikationsorganisation - entscheidende Hebel in den Händen des siegreichen Proletariats vorherbestimmt werden. So schrieb Karl Kautsky in seiner 1899 veröffentlichten "Agrarfrage", die Lenin "nach dem dritten Band des ´Kapitals` die hervorragendste Erscheinung der neueren ökonomischen Literatur" Quelle! nannte: "...das heute so mächtig wirkende Hindernis des unbeschränkten Privateigentums an Boden ist durch die Verstaatlichung der Hypotheken, die wachsende Abhängigkeit der Bauern von den verstaatlichten landwirtschaftlichen Industrien, durch das zunehmende Aufsichts- und Eingriffsrecht des Staates in Sachen Landeskultur, der menschlichen und tierischen Hygiene, auf ein Minimum reduziert worden." Quelle!
Und Lenin kam bei seiner Untersuchung der amerikanischen Landwirtschaft 1915 zu folgendem Schluß: "Wer die Banken hat, der hat unmittelbar ein Drittel aller amerikanischen Farmen in der Hand und beherrscht mittelbar ihre ganze Masse. Die Organisation der Produktion nach einem einheitlichen Plan für die Millionen Wirtschaften, die mehr als die Hälfte der gesamten Produktion liefern, ist eine Sache, die bei der heutigen Entwicklung von Vereinigungen jeder Art, sowie der Technik des Verkehrs und des Transports zweifellos verwirklicht werden kann." Quelle!
Lenin deutet hiermit an, daß es eine Stufe der Subsumtion der privatbäuerlichen Landwirtschaft unter die proletarisch-sozialistische Produktionsweise gibt, die dem eigentlichen genossenschaftlichen Zusammenschluß der Bauern vorausgeht. Auf einer ersten Stufe der Subsumtion ändern sich die Eigentumsverhältnisse der Landwirtschaft in ihrem Charakter allein durch Veränderung des Beziehungsgefüges, in dem sie existiert. Die warenproduzierende Landwirtschaft wird der sozialistischen Planwirtschaft unterworfen mit Hilfe der Nationalisierung der kapitalistischen Banken, Industrien, Großhandels- und Verkehrseinrichtungen, in deren Abhängigkeit sie bereits geraten war.

Die unmittelbare Umgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion durch genossenschaftlichen Zusammenschluß muß in diesem Lichte bereits als eine höhere Stufe der Subsumtion angesehen werden. Das Schwergewicht in Lenins Arbeiten zur Agrarfrage lag vor 1917 ganz klar auf der Analyse der Ablösung feudaler durch kapitalistische Produktionsverhältnisse im damaligen Rußland. Das ermöglichte vor allem eine wissenschaftliche Bestimmung der Agrarpolitik der Arbeiterpartei bei der Vorbereitung und Durchführung sowohl der demokratischen als auch der sozialistischen Revolution. In methodologischer Hinsicht sind diese Untersuchungen in vielfältiger Weise fruchtbar auch für die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft. Das wird deutlich, wenn man der Frage nach der Bedeutung der Kategorie Eigentum in Lenins agrarökonomischen Analysen nachgeht.

In seiner Kritik der Volkstümler wies Lenin jene Auffassung als wirklichkeitsfremde Abstraktion zurück, wonach "das Eigentum des Produzenten an den Produktionsmitteln ein 'althergebrachtes' Prinzip, ein 'ewiger Grundpfeiler' der bäuerlichen Arbeit" Quelle! sei. In dieser Anschauung wird abstrahiert vom gesellschaftlichen Beziehungsgefüge, wodurch das Wesentliche verloren geht, nämlich daß "die heutige Expropriation der Bauernschaft aus der Ablösung des feudalen Mehrprodukts durch den bürgerlichen Mehrwert" Quelle! resultiert.
In seiner Gegendarstellung vermeidet Lenin allerdings eine so abstrakte Kategorie wie Eigentum: "... die Wirklichkeit kennt keinen Bodenbesitz des Landmannes, der isoliert und für sich bestünde ... Es handelt sich dabei lediglich um eins der Glieder der damaligen Produktionsverhältnisse, die darin bestanden, daß das Land unter die Großgrundbesitzer, die Gutsherren aufgeteilt war und daß die Gutsherren den Bauern diesen Boden zuteilten, um sie auszubeuten, so daß der Boden eine Art Naturallohn war; er lieferte dem Bauern die notwendigen Produkte, damit dieser dem Gutsherrn das Mehrprodukt erzeugen konnte, er war die Grundlage dafür, daß die Bauern an den Gutsherrn Abgaben leisten konnten." Quelle!

Folgendes wird schon hier ersichtlich. Das sozialökonomische Wesen einer gegebenen Agrarverfassung suchte Lenin keineswegs in der isolierten Beziehung der Produzenten zu den Produktionsmitteln. Als wesentliche Beziehung galt ihm vielmehr die zwischen Produzenten und Eigentümer, also zwischen den Klassen.

"Erst nachdem klargestellt ist, mit welchen Klassen und welcher Entwicklungsrichtung wir es zu tun haben, können Teilfragen, wie das Entwicklungstempo oder anderen Abwandlungen in der allgemeinen Richtung usw., behandelt werden." Quelle!

Bezogen auf die Produktionsweise sind damit Teilbeziehungen, wie sie sich im Bodeneigentum ausdrücken, untergeordnet. Mit Bezugnahme auf Marx unterstrich Lenin: "Das Kapital findet mittelalterlichen und patriarchalischen Grundbesitz der verschiedensten Art vor: sowohl feudalen Grundbesitz und bäuerlichen 'Anteilbesitz' (d.h. abhängiges bäuerliches Eigentum) als auch Clan-, Marktgemeinschafts-, Staatseigentum usw. Das Kapital ordnet sich alle diese Arten des Grundbesitzes unter, doch in verschiedener Form, auf verschiedene Weise." Und diese Form ist der Produktionsweise untergeordnet: "Die Quelle!
Nationalisierung ... ist nichts anderes als Überführung des Bodens in Staatseigentum, und die private Bewirtschaftung des Bodens wird von einer solchen Verwandlung in keiner Weise berührt. Ob der Boden Eigentum oder 'Gemeinbesitz' des ganzen Landes, des ganzen Volkes - das System der Bewirtschaftung dieses Bodens ändert sich deshalb ebensowenig, wie sich das (kapitalistische) Wirtschaftssystem bei einem wohlhabenden Bauern ändert, ob er nun Land 'für ewig' kauft, ob er gutsherrlichen oder fiskalischen Boden pachtet, oder ob er die Landanteile heruntergekommener, ruinierter Bauern 'zusammenfaßt'."Quelle!

Obgleich die Eigentumsbeziehungen der Landwirtschaft - und erst recht einzelne ihrer Seiten - gegenüber dem gesellschaftlich herrschenden Produktionsverhältnis das Abgeleitete, Untergeordnete sind, beeinflussen sie doch in hohem Maße Formen, Kräftekonstellationen und Entwicklungstempo bei der Durchsetzung der gesellschaftlichen Produktionsweise (was grundsätzlich nicht nur für die kapitalistische, sondern auch für die sozialistische Produktionsweise gilt). Diesen Aspekt der Beziehung zwischen gesellschaftlich herrschendem Eigentumsverhältnis und dem Eigentum in der Landwirtschaft verdeutlichen Lenins Ausführungen zu den beiden Grundtypen der kapitalistischen Entwicklung der Landwirtschaft, dem preußischen und dem amerikanischen.Quelle!

In seinen fundamentalen agrarökonomischen Arbeiten zwischen 1893 ("Neue wirtschaftliche Vorgänge im bäuerlichen Leben") und 1899 ("Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland"), aber auch noch in den folgenden Jahren, analysierte Lenin sehr detailliert den Einfluß jeder einzelnen Seite der Produktivkräfte auf die Entwicklung der Produktionsverhältnisse und damit des Eigentums. So betrachtet er die Größe der genutzten Bodenfläche, den Umfang und die Qualität des toten und lebenden Inventars, die Maschinenanwendung, die Verkehrsverhältnisse, die verarbeitende Industrie, den Handel u. a. Doch das sozialökonomische Wesen der Eigentumsverhältnisse enthüllte sich ihm in der Bewegung des Produkts und insbesondere des Mehrprodukts. In dieser Bewegung verwirklichen sich die ökonomischen Beziehungen der Klassen. Die angedeutete Herangehensweise ermöglichte es Lenin, nach der Machtergreifung des russischen Proletariats die Strategie des sozialistisch-kommunistischen Aufbaus zu entwickeln, deren untrennbarer Bestandteil der Plan der Umgestaltung der privatbäuerlichen Landwirtschaft ist. "Eine Gesellschaft, in der der Klassenunterschied zwischen Arbeitern und Bauern weiterbesteht, ist weder eine kommunistische, noch eine sozialistische Gesellschaft",Quelle! denn "der Bauer ist seiner Lebensweise, seinen Produktionsbedingungen und seiner Wirtschaftsweise nach zur Hälfte Werktätiger, zur Hälfte Spekulant"Quelle! (weil Privateigentümer).

Das sozialistische Wesen der Vergesellschaftung der Agrarproduktion und damit auch der Vereinigungen (Genossenschaften) der Bauern ist abhängig von den gesamtgesellschaftlich herrschenden Produktionsverhältnissen. "Den zersplitterten Kleinproduzenten, den Bauer, vereinigt ökonomisch und politisch entweder die Bourgeoisie ... oder das Proletariat ..."Quelle!
Soweit die kapitalistischen Austausch-, weil Produktionsverhältnisse bestehen, können die Genossenschaften nur kollektive Kapitalisten sein, ist das höchstmögliche ein "genossenschaftlicher Kapitalismus".Verweis!
Ihr Charakter ändert sich durch Herstellung des Volkseigentums in Industrie, Großhandel und Finanzen. Nun unterscheiden sie "sich nicht von sozialistischen Betrieben, wenn sie auf dem Grund und Boden errichtet und mit Produktionsmitteln ausgerüstet sind, die dem Staat, d. h. der Arbeiterklasse gehören."Quelle!
Die Rolle der gesellschaftlich herrschenden Produktionsweise bei der Vergesellschaftung der Landwirtschaft schließt ein die Rolle der herrschenden Klasse. "Die Rolle des Proletariats ... besteht in der Führung beim Übergang dieser Kleinbesitzer zur vergesellschafteten, kollektiven, gemeinschaftlichen Arbeit. ..., und wir wissen, daß sich das bewerkstelligen läßt, wenn man eine sehr starke Großindustrie besitzt, die fähig ist, dem Kleinproduzenten solche Vorteile zu bieten, daß er den Vorzug dieser Großwirtschaft in der Praxis einsieht."Quelle!
"Der Bauer braucht die städtische Industrie. Ohne sie kann er nicht leben, und sie ist in unserer Hand. Wenn wir die Sache richtig anpacken, dann wird der Bauer uns dafür dankbar sein, daß wir ihm aus der Stadt diese Erzeugnisse, diese Geräte, diese Kultur bringen. Nicht die Ausbeuter, die Gutsbesitzer werden sie ihm bringen, sondern Genossen, die arbeiten wie er, die er außerordentlich hochschätzt, die er aber vom praktischen Standpunkt schätzt, nur nach der tatsächlichen Hilfe, die sie bringen, wobei er das Kommandieren, die 'Vorschriften' von oben ablehnt, mit vollem Recht ablehnt."Quelle!

Es besteht kein Zweifel, daß der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in verschiedenen Formen denkbar ist, je nachdem, ob wir im Lande bereits überwiegend großkapitalistische Verhältnisse haben oder ob der Kleinbetrieb überwiegt."Quelle!
Vier verschiedene Formen, die den in sich differenzierten Verhältnissen entsprechen, hat Lenin herausgearbeitet (In Klammern vermerke ich die Bezeichnungen, unter denen sie in der Entwicklung der DDR in Erscheinung traten).

  • - "Errichtung von Sowjetwirtschaften, d.h. von großen sozialistischen Gütern, (Volkseigene Güter, VEG - J.T.)
  • - die Förderung landwirtschaftlicher Kommunen, d.h. freiwilligen Vereinigungen von Landwirten zur Führung eines gemeinschaftlichen Großbetriebes, (LPG Typ III - J.T.)
  • - sowie von Gesellschaften wie auch Genossenschaften für gemeinschaftliche Bodenbestellung, (LPG Typ I bzw. II - J.T.)
  • - Die Organisation staatlicher Bodenbestellung aller brachliegenden Ländereien, wem immer sie gehören." (örtlich geleitete Landwirtschaftsbetriebe - ÖLB).

Hier ist nicht der Ort für eine systematische Darstellung der Leninschen Strategie der genossenschaftlichen Umgestaltung der Landwirtschaft. Der "Leninsche Genossenschaftsplan" als ihre Zusammenfassung ist fester Bestandteil der ökonomischen Lehrprogramme. Hier soll abschließend nochmals die theoretische Grundposition betont werden, die auch den nachfolgenden Kapiteln zugrunde liegt.

Charakter und Tendenz der Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft werden bestimmt durch Produktionsverhältnisse, die sich außerhalb von ihr entwickeln. Daher sind die Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft - bei aller Eigengesetzlichkeit ihrer Entwicklung - abgeleitete Beziehungen, deren Wesen nur in dieser Ableitung aufgedeckt werden kann. Mit anderen Worten: Die genossenschaftliche Umgestaltung der Landwirtschaft kann nur als Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Umwälzung der sozialökonomischen Verhältnisse begriffen werden, weshalb wir auch von genossenschaftlich-sozialistischer Umgestaltung sprechen. Die Subsumtion der vorgefundenen Agrarverhältnisse kann nichts anderes sein als ein Prozeß, der - bei aller Vielfalt seiner Ausgangsbedingungen - über verschiedene Zwischenstufen zu einem gesetzmäßigen Ergebnis kommt, nämlich zu einer Struktur der Eigentumsverhältnisse, die der gesellschaftlich herrschenden Produktionsweise adäquat ist.

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