1. Mutterschaft und Berufstätigkeit

 

Die Fixierung räumlich und zeitlich getrennter Bereiche der Lebenstätigkeit - Berufstätigkeit und Familie - wurde mit dem genossenschaftlichen Zusammenschluß der bäuerlichen Produzenten auch in den Agrargebieten im Norden der DDR zu einer vollständig ausgeprägten Tatsache. Unter dem spezifischen Bedingungen dieser Territorien gilt die gesamtgesellschaftlich formulierte Zielstellung der SED, "daß die Frauen ihre berufliche Tätigkeit noch erfolgreicher mit ihren Aufgaben als Mütter und in der Familie vereinbaren können." Quelle!

1.1. Quantität und Verteilung der Mutterschaften in der berufstätigen Bevölkerung der Untersuchungsterritorien

1.1.1. Das Datenmaterial

Alle in diesem Abschnitt gemachten Angaben stützen sich auf Unterlagen der Staatlichen Verwaltung für Statistik. Mit dem Formblatt 055/1 und 055/2 erfaßt die Arbeitskräftestatistik insbesondere die vollberufstätigen Mütter mit einem, zwei, drei und mehr Kindern unter 16 Jahren. Diese, bislang u.E. zu wenig genutzten Daten sind geeignet, eine auf das jeweilige Territorium bezogene Analyse der Tendenzen und aktuellen Probleme der Berufstätigkeit von Frauen zu vertiefen.Verweis!

Freilich könnte der quantitative Zusammenhang von Mutterschaft und Teilzeitarbeit schärfer fixiert werden, wenn nicht allein die vollberufstätigen Mütter erfaßt würden.

Ein typisches Bild der Struktur der berufstätigen Bevölkerung in agrarisch geprägten Territorien gibt der Landkreis Greifswald. Er wurde nicht zuletzt deshalb als Beispiel (siehe Tabelle) gewählt, weil er unmittelbar ins Verhältnis gesetzt werden kann mit dem im selben Kreis gelegenen Stadtgebiet.

Tabelle 1! Tabelle 1 zeigt, wiesich die Beschäftigten insgesamt, davon wiederum die weiblichen und schließlich die Mütter mit Kindern bis zum 16. Lebensjahr einerseits in der Stadt und andererseits im Landkreis auf die Volkswirtschaftsbereiche verteilen.

Im Landkreis Greifswald ist die Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft eindeutig der Bereich, der die meisten Arbeitskräfte bindet (49,9 %). Von den im Landkreis insgesamt berufstätigen Frauen sind 37,9 % und von den vollberufstätigen Müttern 45,7 % in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Eine herausragende Rolle bei der beruflichen Tätigkeit der Frauen im Landkreis spielt jedoch auch der Bereich Wissenschaft, Bildung, Kultur und Gesundheitswesen, der neben Handel und Kommunalwirtschaft für die Qualität des Landlebens entscheidende Bedeutung besitzt. In den eben genannten Bereichen konzentrieren sich 50 % der im Landkreis berufstätigen Frauen bzw. 48,9 % der vollberufstätigen Mütter.

Eine Innensicht der Zweige vermitteln die beiden rechten Spalten der Datenübersicht; Dabei wird der Frauenanteil in der Kennziffer "Mutterschaften vollberufstätiger Frauen je 100 Beschäftigte" sozialpolitisch problematisiert. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die Bereiche Verkehr, Post- und Fernmeldewesen sowie Handel, in denen die Teilzeitarbeit eine sehr große Rolle spielt. Hier haben Frauen in hohem Maße die Möglichkeit, Teilzeitbeschäftigungen zu finden. Da aber ein Teil der Arbeitsplätze (auf der Basis ökonomischer Parameter) von Anfang an als Teilzeitarbeitsplätze ausgewiesen sind, wird hier ein traditionelles Rollenverständnis vorausgesetzt und reproduziert, demzufolge das Hauptaktionsfeld der Frau zu Hause liegt. Die Bedürfnisstruktur der heranwachsenden Müttergenerationen deckt sich damit immer weniger.

Trotz eines sinkenden Frauenanteils in den Landwirtschaftsbetrieben, bleiben diese in den agrarisch strukturierten Gebieten noch immer der Bereich, der die meisten weiblichen Arbeitskräfte beschäftigt. Hier darf die analytische Arbeit jedoch nicht stehenbleiben. Von perspektivischer Bedeutung ist nämlich, in welchem Maße sich dieser Frauenanteil regeneriert. Um diese Frage beantworten zu können, ist die Struktur des weiblichen Arbeitsvermögens zu betrachten. Unter dem Aspekt der Regenerationsdynamik sind zwei Kennziffern aussagekräftig:
der Altersdurchschnitt und der Anteil der Mütter von Kindern unter 16 Jahren.
Von synthetischem Aussagewert ist die Kennziffer "Mutterschaften je 100 Beschäftigte", weil sie indiziert, in welchem Maße der Betrieb mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderungen konfrontiert ist, die mit der Beschäftigung junger Frauen verbunden sind.

Um diese Situation differenziert betrachten zu können, empfiehlt es sich zunächst, die Landwirtschaftsbetriebe eines Kreises mit ihren Frauenanteilen und Mutterschaftsraten aufzulisten. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten sollte die Betrachtung auf die Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten begrenzt werden, um die Aussagefähigkeit der Relationen einigermaßen sicherzustellen.

Tabelle 2" Tabelle 2 zeigt Relationen zwischen der Beschäftigtenstruktur der Landwirtschaftsbetriebe und der Anzahl der Kinder, bezogen auf die Gesamtheit der Beschäftigten sowie bezogen auf die weiblichen Beschäftigten.

Auf dieser Grundlage lassen sich die Betriebe wie folgt klassifizieren:

  1. Betriebe mit weit über dem Kreisdurchschnitt liegendem Frauenanteil und gleichfalls überdurchschnittlicher Mutterschaftsrate. Hier finden sich besonders die Gartenbaubetriebe und modernen Milchviehanlagen;
  2. Betriebe mit ausgeglichener Bilanz, die sich in der Nähe des bzw. mäßig über dem Durchschnitt befinden. In dieser Gruppe finden wir sowohl Pflanzenbaubetriebe, wie auch (in größerer Zahl) Betriebe der Tierproduktion, bei denen das Bild allerdings insgesamt wesentlich differenzierter ausfällt;
  3. Betriebe mit einem unterdurchschnittlichen Frauenanteil, aber einer dazu unverhältnismäßig hohen Mutterschaftsrate. Diesen Betrieben ist es offenbar gelungen, in den letzten Jahren Fortschritte in der Sicherung des weiblichen Berufs- und Klassennachwuchses zu erreichen;
  4. Betriebe mit einem hohen Frauenanteil, aber einer unbefriedigenden Mutterschaftsrate. Auf diese Betriebe soll die Aufmerksamkeit gelenkt werden, weil sie als Problemfälle nicht erkannt werden, solange nur der Frauenanteil betrachtet wird, der sich aber - wie die Betrachtung unter dem regenerativen Aspekt zeigt - nicht reproduziert.
  5. Betriebe mit einem unterdurchschnittlichen Frauenanteil und einer ebenfalls unterdurchschnittlichen Mutterschaftsrate. In dieser, wie auch in der vorgenannten Gruppe, finden wir zum Teil auch ökonomisch starke, in ihrer derzeitigen Leistungsfähigkeit anerkannte Pflanzenbaubetriebe.

In der Kennziffer "Mutterschaft je 100 Beschäftigte" (Mutterschaftsrate) kommt zwar das Maß der sozialpolitischen Betroffenheit und Aktivität der Betriebe zum Ausdruck, doch empfiehlt es sich, in der Analyse eine weitere Kennziffer anzuwenden: Mutterschaften je 100 der weiblichen Beschäftigten. Diese Kennziffer bringt die Regenerationsdynamik klarer zum Ausdruck, denn in Betrieben mit hohem Frauenanteil z.B. wird die Mutterschaftsrate (bezogen auf 100 der männlichen + weiblichen Beschäftigten) auch dann noch hoch ausfallen, wenn die Struktur der weiblichen Beschäftigten relativ ungünstig ist: hohe Überalterung, niedriger Berufsnachwuchs.

Ein nächster Schritt der Analyse des statistischen Materials über die Landwirtschaftsbetriebe ergibt sich aus der Notwendigkeit, die Möglichkeiten zur Berufstätigkeit in der Landwirtschaft für junge Mütter und die Nutzung dieser Möglichkeiten im territorialen Rahmen zu betrachten. Dazu sind die Betriebsdaten im Rahmen der Kooperationen zusammenzufassen. Die nun noch auftretenden Differenzierungen (sie sind in der Regel nicht mehr so gravierend wie auf der betrieblichen Ebene) sind in ihrer Interpretation in Beziehung zu setzen zur Agrarquote und zur demographischen Struktur des jeweiligen Territoriums. Auf dieser Grundlage ist es dann möglich, Maß und Inhalt sozialpolitischen Handlungsbedarfs im Territorium schärfer herauszuarbeiten. Der ungünstigste Fall liegt vor bei hoher Agrarquote, niedriger Mutterschaftsrate und überhöhtem Frauendefizit in den demographisch aktiven Altersgruppen.

1.1.2. Konsequenzen des statistischen Materials

Die Berufstätigkeit von Frauen, die Mütter sind, gehört in der sozialistischen Gesellschaft der DDR zu den Grundlagen ihrer entwickelten Bedürfnisstruktur. Junge Frauen wollen sich in der Familie und im Beruf verwirklichen. Die Möglichkeiten hierzu sind territorial allerdings stark differenziert. Infolgedessen gibt es ein geschlechtsspezifisches Wanderungsverhalten mit demographisch erosiver Wirkung. Mit der Verringerung der demographischen Regenerationsfähigkeit des Territoriums verringern sich mittelfristig auch die Möglichkeiten zur personellen Reproduktion der Klasse der Genossenschaftsbauern und des ländlichen Arbeitsvermögens.

Innerhalb des umrissenen komplexen Zusammenhangs kommt der mütter- und familiengerechten Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen zentrale Bedeutung zu. Darüber muß zunächst Klarheit herrschen in den Köpfen.

Symptomatisch für eine noch immer weit verbreitete Leiterauffassung dürfte die Meinung eines LPG-Vorsitzenden sein, die er in einem Expertengespräch äußerte: "Frauen beschäftige ich gern. Sie sind meist disziplinierter und arbeiten oft gründlicher als Männer. Aber sie müssen älter als 35 sein." Besonders unangreifbar scheint solche Haltung zu sein, wenn sie in ökonomisch erfolgreichen Betrieben vertreten wird, die in ihren Arbeitsergebnissen das Kreisniveau entscheidend mitbestimmen. Doch gerade auch in diesen Fällen muß die Frage gestellt werden, wie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Frauen über 35 gewonnen werden sollen, wenn sie in den Jahren aktiver Mutterschaft in der sozialistischen Landwirtschaft ihres Territoriums keine Perspektive für sich finden konnten.

Migration und demographische Aktivität fallen in den gleichen Lebensabschnitt junger Menschen, in das Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Daß die Liebe das hauptsächliche Wanderungsmotiv sei, kann so undifferenziert nicht anerkannt werden, bleibt eine solche Einschätzung doch an der Oberfläche stehen und erklärt weder territoriale noch geschlechtsspezifische Wanderungsverluste bzw. -gewinne. Unter familialen Gesichtspunkten können im Wanderungsverhalten u.E. folgende Bewegungen unterschieden werden, die noch der näheren Untersuchung bedürfen:

1. Migration im Zusammenhang mit der Familiengründung;
Je dünner die Besiedelung ist, umso weiter müssen sich die "Heiratskreise" räumlich ausdehnen. Wäre die Partnerfindung ein isoliert bzw. unkanalisiert wirkendes Motiv im Wanderungsverhalten, müßten sich die Wanderungssalden der verschiedenen Gemeinden ausgleichen, was sie aber nicht tun. Zu berücksichtigen ist aber folgende Feststellung: "Wer schon aus Gründen der Partnerwahl und im Zusammenhang mit der Bildung eines gemeinsamen Haushaltes den Wohnort zu wechseln hat, wird diesen Vorgang zugleich als günstige Gelegenheit zum Hinzug zum als attraktiver empfundenen Wohnort nutzen."Quelle!

2. Familienmigration. Es kann davon ausgegangen werden, "daß im Prozeß der Familienwanderung die Migrationshäufigkeit ebenso wie die Migrationsrichtung auch heute noch in stärkerem Maße durch die Männer bestimmt wird" und also "bei der Migration von Familien das Migrationsverhalten der Frauen weniger von ihren eigenen sozialen Charakteristika als von denen des Ehepartners bestimmt wird."Quelle!

3. Nachfamiliale Wanderung. Hierbei klammern wir das Problem der Verwitwung im höheren Lebensalter aus und beschränken uns auf die vorzeitige Auflösung von Partnerschaften. In dem Maße, wie die Wanderung bei Familiengründung und Wanderung von Familien durch die sozialen Charakteristika der Männer dominiert waren, ist impliziert, daß die Partnerin einen Milieuwechsel vollzogen hatte, der für sie nicht optimal sein mußte. So gesehen ist davon auszugehen, daß unter dörflichen Bedingungen - und vor allem hier! - ein Wegzug der Frau nach Scheidung bzw. Trennung naheliegend ist. Die Bedeutung privaten Grundstücks- und Hausbesitzes in diesem Zusammenhang ist gleichfalls näher zu untersuchen.

4. Vorfamiliale Wanderung. Sie wird an letzter Stelle genannt, um sie in ihrer Bedeutung für die Entstehung demographischer und sozialstruktureller Geschlechtsparitäten herauszuheben. Vorfamiliale Wanderung bahnt sich meist schon im Ausbildungsverhältnis an. Entscheidend dürfte hierbei die negative Einschätzung der eigenen Perspektive im heimischen Territorium, gemessen an den persönlichen Lebensplänen, sein. In dem Maße, wie sich die Perspektive junger Männer und Frauen im ländlichen Territorium verschieden darstellt, wird sich auch das vorfamiliale Migrationsverhalten zwischen den Geschlechtern unterscheiden.

Der geschlechtsspezifische Wanderungsverlust der ländlichen Produktions- und Wohnorte ist in allen drei Nordbezirken eine evidente Tatsache. Die folgende Übersicht soll das belegen. Die Berechnung basiert auf dem Gemeindedatenspeicher der Sektion Geographie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Die Gemeindetypisierung nach Merkmalen spezifischer Reproduktionsrealisierung stammt von W. Weiß.

Die DDR-Werte werden zur Orientierung als Normalverteilung angegeben.

Tabelle 3!

Daß die sichtbare Abweichung vom Normal migrationsbedingt ist, zeigt die Tatsache, daß sie erst bei den 20jährigen einsetzt. Daß die negativen Wanderungssalden zu einem hohen Teil weiblich belegt sind, bestätigt, daß junge Frauen (potentielle Mütter) die eigene Situation und Perspektive ungünstiger bewerten als gleichaltrige Männer. Hieraus leitet sich sozialpolitischer Handlungs- und Gestaltungsbedarf ab, denn die Gründung und soziale Bindung junger Familien in allen Gemeinden des Landes in genügender Zahl ist für die demographische, soziale, ökonomische und kulturelle Zukunft dieser Produktions- und Siedlungsstandorte ausschlaggebend, setzt aber voraus, daß Frauen als berufstätige Mütter und Persönlichkeiten die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Standorte ebenso annehmen wie Männer.

In den agrarisch geprägten Territorien bleiben die Landwirtschaftsbetriebe in besonderem Maße auf eine dynamische Bevölkerungsentwicklung angewiesen und können sie durch gezielte Aktivität zur Unterstützung werktätiger Mütter beeinflussen. Die vielfältigen Möglichkeiten hierzu lassen sich in 4 Richtungen thematisieren.

  1. Arbeitsorganisatorische Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft unterstützen;
  2. Sozialleistungen des Betriebes: Wohnungs- und Erholungswesen, Speiseversorgung, Transportleistungen, Vermittlung und organisatorische Sicherstellung eines Teils der gesundheitlichen Betreuung sowie wichtiger Dienstleistungen;
  3. Gezielte berufliche Förderung werktätiger Mütter;
  4. Materielle, personelle und moralische Einflußnahme auf kommunale Lösungen sozialpolitischer Aufgaben, die den Familien und vor allem den werktätigen Müttern zugute kommen.

In allen genannten Richtungen gibt es bereits einen beträchtlichen Fundus positiver Erfahrungen. Am günstigsten ist die Lage dort, wo die Produktivkraftentwicklung so gestaltet werden konnte, daß die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft begünstigt wurde, wie das in einem Teil der moderneren Tierproduktionsanlagen der Fall ist.Verweis!

Die berufliche Perspektive für junge Mütter im Territorium beschränkt sich wie gezeigt, nicht auf die landwirtschaftliche Produktion. Hier sind gleichfalls solche Bereiche bedeutsam, die für die Lebensqualität der ländlichen Bevölkerung große Wichtigkeit besitzen: Handel, Dienstleistungen, Gesundheits- und Sozial-, Bildungs-, Verkehrs-, Post- und Fernmeldewesen, kulturelle Betreuung.

1.2. Elternschaft und Arbeitszeitgestaltung

Zur Förderung der Gesundheit von Mutter und Kind und der ganzen Familie existieren gesellschaftliche Regelungen, die tägliche, wöchentliche, monatliche, jährliche und Lebensarbeitszeit von Frauen betreffen. Das sind insbesondere Freistellungen von Müttern vor und nach der Geburt sowie bei Krankheit der Kinder, sind die Verkürzung der Normalarbeitszeit bei mindestens zwei gesunden bzw. einem geschädigtem Kind auf 40 und weniger Wochenstunden, Haushaltstage u.a. Mit Ausnahme des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs, die untrennbar an die biologische Mutterschaft gebunden sind, können alle haushaltsmäßig und pflegerisch begründeten Arbeitsregelungen prinzipiell auch auf Väter und andere Personen (das sind dann vor allem Großmütter) übertragen werden.

Die nachfolgend als ALB 84 bezeichnete Befragung ergab Angaben zur Freistellung bei Krankheit der Kinder von 130 Familien von Genossenschaftsbauern. In 82 von 130 Fällen bleibt die Mutter immer und nur in 11 nie zu Hause. Die Zahl der Genossenschaftsbauern, die als Ehemänner die Freistellung ausschließlich beanspruchen, beträgt in dieser Erhebung 0. Mindestens 2/3 von ihnen übernehmen diese Rolle nie. Von den 8,4 Prozent der Mütter, die die Freistellung nie in Anspruch nehmen, kann die ständige Verfügbarkeit einer Großmutter oder anderen vertrauten, zum Haushalt gehörigen weiblichen Person für die Kinderbetreuung angenommen werden.

Die historisch gewachsenen und heute noch gegebenen Unterschiede in Inhalt und Extensität der Mutter- und Vaterrollen implizieren eine zeitliche und kräftemäßige Begrenzung der beruflichen Aktivität der Mütter, die für die Väter so nicht existiert. Für die Positionsverteilung im gesellschaftlichen Arbeits- und Aneignungsprozeß ist dieser Sachverhalt bedeutsam. Die gesellschaftlichen Leistungen, die eine Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Elternschaft überhaupt erst real werden lassen (Kindereinrichtungen, gesellschaftliche Speiseversorgung u.a.) sichern den werktätigen Müttern die Ableistung einer Normalarbeitszeit. Hoch qualifizerte und leitende Tätigkeiten verlangen jedoch ein hohes Engagement auch außerhalb der Normalarbeitszeit (Besuch von Konferenzen, Lehrgängen, Wahrnehmung operativer Aufgaben, persönliche Weiterbildung). Solche Aktivitäten tangieren das Familienleben.

Mütter können über die Normalarbeitszeit hinaus nur in dem den Vätern vergleichbaren Maße aktiv werden, wie das Familienleben partnerschaftlich gestaltet und die Betreuung der Kinder gesichert ist. Dieser Zusammenhang der inneren Struktur der Familie und der Positionsverteilung zwischen Männern und Frauen im gesellschaftlichen Arbeits- und Aneignungsprozeß muß komplex betrachtet werden, kann aber nur dargestellt werden, in dem er zunächst aufgelöst wird. In diesem Sinne ist hier die familiale Relevanz der Arbeitszeitgestaltung werktätiger Mütter von Belang.

Im Abschnitt "Innere Familienstruktur" soll dann das Korrelat hierzu untersucht werden: Die innerfamiliale Rollen-, Positions- und Zeitverteilung.

1.2.1. Landwirtschaftlicher Produktionsrhythmus und Lebensrhythmus ländlicher Familien

Die Mindestanforderungen in der Betreuung kleiner Kinder sind biologisch begründet. Die Arbeitsabläufe in der Landwirtschaft sind es auch. Soweit Frauen (Mütter) in der sozialistischen Landwirtschaft tätig sind, bedeutet das für sie außerhäusliche, spezialisierte Berufstätigkeit. Diese Situation ist nicht älter als die landwirtschaftliche Großproduktion, deren Gestaltung eine bewegte und keineswegs abgeschlossene Geschichte hat.

Um die gegenwärtige Situation hinsichtlich der Vereinbarkeit von Mutterschaft und landwirtschaftlicher Berufstätigkeit schärfer fixieren zu können, soll zunächst an die Arbeitsorganisation der bäuerlichen Familienwirtschaft erinnert werden.

Arbeitsorganisation und damit Lebensrhythmus des einzelbäuerlichen Betriebes, der zugleich Haushalt war, wurden von einem ganzen System von Voraussetzungen bestimmt: verfügbare Produktionsmittel, Arbeitskräfte und -erfahrungen, natürliche Standortgegebenheiten, Eigenbedarf und fremde Nachfrage. Die Produktionstruktur war heterogen. Die Produktionsrichtungen waren so kombiniert, daß sich die verschiedenen diskontinuierlichen Arbeitsabläufe annähernd so ergänzten, daß das vorhandene Arbeitsvermögen möglichst kontinuierlich angewandt werden konnte. Dabei ist in der bäuerlichen Arbeitsorganisation immer von Belang gewesen, daß ein Teil dieses Arbeitsvermögens weiblich und an die Funktionen der Mutterschaft gebunden war. Morgens und abends versorgte die Bäuerin das Vieh; dazwischen bereitete sie Mahlzeiten und betreute die fürsorgebedürftigen Familienangehörigen (Kinder und Alte). Unterstützung erhielt sie bei körperlich schweren Stallarbeiten; andererseits war sie eine Arbeitskraftreserve für die Arbeitsspitzen im Feldbau. Die nicht agronomisch terminierten Beschäftigungen füllten die "Täler" zwischen den agrarischen Arbeitsspitzen.

Die Rinder- und Schweinehaltung der einzelbäuerlichen Familienbetriebe war also so dimensioniert, daß die täglichen Verrichtungen der Fütterung, Pflege und des Melkens von einer bis zwei Arbeitskräften (meist weiblich) bewältigt werden konnten. Diskontinuierlich anfallende schwerere Arbeiten konnten von den männlichen Haushaltsmitgliedern erledigt werden in den "Arbeitstälern" des Feldbaus.

Wenn Tierproduktionsanlagen, deren Größenordnung sich organisch in den einzelbäuerlichen Familienbetrieb einordneten, genossenschaftlich betrieben werden, haben wir es mit dem "geteilten Arbeitstag" zu tun: morgendliche und abendliche Arbeitsspitze lassen sich nicht in einer "Normalschicht" verbinden. Einerseits liegt die täglich erforderliche Arbeitszeit teilweise unter 8 Stunden; andererseits gibt es (ohne Vertretung) keine arbeitsfreien Tage.

Von den in der Tierproduktion des Bezirkes Neubrandenburg beschäftigten Frauen arbeiten etwa 10 % im Schichtsystem, weitere 25 % haben eine normale, durchgehende Arbeitszeit, aber für 65 % der Frauen (sie arbeiten meist in kleinen Ställen) ist noch immer der geteilte Arbeitstag bestimmend. 340 Bäuerinnen, denen eine 40-Stunden-Woche zustünde, erhalten die darüber hinaus vom Arbeitsplatz verlangte Arbeitszeit gesondert vergütet. 200 Bäuerinnen des Bezirkes kann der Haushaltstag nicht gewährt werden; er wird in diesen Fällen extra vergütet.Verweis!

Stallungen, deren Größe nicht ausreicht, um Zweischichtbetrieb mit entsprechender sozialer Betreuung und der Möglichkeit, freie Tage zu gewähren, sicherzustellen, entsprechen u.E. nur ungenügend den genossenschaftlich sozialistischen Produktionsverhältnissen und den mit ihnen gewachsenen Bedürfnisstrukturen.

Ein Teil dieser kleineren Stallungen wird tatsächlich von Ehepaaren betrieben, die ihren Arbeitstag durchaus in der einzelbäuerlichen Tradition gestalten. Obwohl hier Familie und Berufstätigkeit auf eine anderswo kaum noch zu erreichende Weise ineinander verzahnt werden können, ist diese Produktions- und Lebensorganisation für die Mehrheit der jüngeren Frauen aber nicht mehr attraktiv. Nicht im gewünschten Umfang können hier folgende Bedürfnisse realisiert werden:

  • Technisch und hygienisch ansprechende Arbeitsplatzgestaltung,
  • Kommunikation im Arbeitskollektiv,
  • Zusammenhängende Zeiten für Urlaub und Erholung,
  • Verringerung der Routineverrichtungen im Haushalt durch Inanspruchnahme gesellschaftlicher Leistungen.

Das zuletzt genannte sollte nicht unterschätzt werden. Gerade in diesem Punkt weicht die Alltagsgestaltung der Beschäftigten der "herkömmlichen" Tierproduktionsanlagen signifikant von der der übrigen Genossenschaftsbauern ab, wie die nachstehenden Angaben zur Inanspruchnahme der betrieblichen Speiseversorgung deutlich machen. Offenbar stehen die meisten Frauen mit durchbrochenem Arbeitstag alltäglich am heimischen Kochherd, um für die Familie die Mittagsmahlzeit zu bereiten.

 
Tabelle 4:
Teilnahme der Genossenschaftsbauern im Gemeindeverband Fäsekow-Grammendorf (Kreis Grimmen) am Betriebsessen in %
Tätigkeitsgruppe Teilnahme 1983 Teilnahme 1973
Traktoristen, Mechanisatoren 73,3 79,5
Handarbeitskräfte im Feldbau 73,0 51,6
Werkstatt, Bau 81,7 71,2
Tierproduktion 36,0 25,6

In einer anderen Weise als in der Tierproduktion stellt sich das Vereinbarkeitsproblem unter arbeitszeitlichem Aspekt in der Pflanzenproduktion dar. Hier wechseln die Arbeitsanforderungen mit den Fruchtarten, der Jahreszeit und der Witterung. So ergeben sich Arbeitsspitzen im Sommer und Herbst; stark vermindert ist der Arbeitsbedarf im Winter. Vor allem in den Erntekampagnen läßt sich der Arbeitsanfall nur teilweise auf den Normalarbeitstag fixieren; das aber ist notwendig, damit ein Elternteil (das ist meist die Mutter) Berufs- und Betreuungsaufgaben in der Familie koordinieren kann. Ferner ist hier zu berücksichtigen, daß der größte Teil der Schulferien mit den Arbeitsspitzen in der Pflanzenproduktion zusammenfällt, daß aber die Teilnahme von solchen Kindern, die nicht am Schulort wohnen, an den Ferienspielen vielfach nicht gesichert ist. "Aus den LPG ist bekannt, daß eine Reihe Mütter in der Ferienzeit nur halbtags arbeiten, um den Kindern zur Verfügung zu stehen und sich um sie zu kümmern."Quelle!

1.3. Die individuelle Hauswirtschaft - eine familienbezogene Produktionsorganisation

"Feierabendarbeit", also die Verrichtung produktiver Tätigkeiten neben der Berufstätigkeit, existiert praktisch in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Spezifisch ländlich - obwohl auch in der Stadt vorkommend - sind Garten- und Feldbau, vor allem aber individuelle Tierproduktion. Für die nebenberufliche Agrarproduktion der Genossenschaftsbauern hat sich der Begriff individuelle Hauswirtschaft durchgesetzt. Er ist in mehreren Beziehungen nicht genügend aussagefähig. Den Greifswalder Sozialhygienikern um Prof. Huyoff folgend, können vier Kategorien individueller Agrarproduktion unterschieden werden:

  1. Gartenbau,
  2. Gartenbau zuzüglich Kleintierhaltung,
  3. Schweinehaltung,
  4. Rinderhaltung.

Diese Unterscheidung ist u.E. von soziologischem Interesse, weil sie eine differenziertere Betrachtung gestattet, beispielsweise hinsichtlich des erzielbaren Einkommens sowie der Art und des Umfangs der jeweiligen Arbeitsbelastung.

Individuelle Erzeugung agrarischer Produkte ist eine Ergänzung zur dominierenden sozialistischen Kollektiv- und staatlich organisierten Landwirtschaft und ist mit dieser auf vielfältige Weise verzahnt: durch Mastverträge, Futtermittelbereitstellung und individuelle (normalerweise vereinbarte) Nutzung genossenschaftlicher Produktionsmittel. Aus der Vielfalt der nebenberuflichen Beschäftigungen (Feierabendarbeiten) hebt sich die individuelle Erzeugung agrarischer Produkte (vor allem die individuelle Tierproduktion) primär durch zwei Merkmale heraus:
Erstens handelt es sich hier um einen Produktionsprozeß mit einem naturbestimmten Arbeitsrhythmus. Um den agro- und zootechnischen Erfordernissen gerecht zu werden, müssen bestimmte Tätigkeiten kontinuierlich (täglich oder saisonal) verrichtet werden;
Zweitens ist ihre Arbeitsorganisation in der Regel familienbezogen.

Wie wichtig hier der Familienbezug ist, zeigen Ergebnisse der Längsschnittstudie zum Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten der Genossenschaftsbauern im Gemeindeverband Fäsekow/Grammendorf.

Tabelle 5:
Weibliche Betreiber einer individuellen Hauswirtschaft nach Familienstand und Art der Produktion (Stand 1983 in %)
Art der Hauswirtschaft Verheiratet +
Lebensgemeinschaft
Alleinstehend
(geschieden, ver-
witwet, ledig)
Gartenbau 10,9 32,7
Kleintierhaltung 17,4 28,8
Schweinehaltung 56,4 36,5
Rinderhaltug 12,4 2,0
Großviehhaltung 71,8 38,5

Insbesondere die Bewältigung einer individuellen Großviehhaltung neben Berufstätigkeit und Hausarbeit erfordert Arbeitsteilung.

Zu den "alleinstehenden Frauen" mit Großviehhaltung (ihr Anteil ist mit 38,5 % noch erstaunlich hoch) soll noch ergänzt werden, daß sie trotz dieser Kennzeichnung als "alleinstehend" durchaus in einem Mehrpersonenhaushalt mit anderen Erwachsenen, also u.E. voll einsetzbaren Arbeitskräften, leben können, die in der individuellen Hauswirtschaft "mit zupacken".

Es ist davon auszugehen, daß in den meisten Fällen die schweren, aber nicht kontinuierlich anfallenden Tätigkeiten, wie Futtergewinnung, Futtertransport und Einlagerung, Stallentmistung, Tiertransport, Instandsetzungs- und -haltungsarbeiten vorwiegend von Männern verrichtet werden, Tätigkeiten, wie Futteraufbereitung, Füttern, Melken, Hegen und Pflegen sind in hohem Maße Angelegenheiten der Frauen. Doch selbst dort, wo die Hauptarbeit in der individuellen Tierproduktion vom Mann verrichtet wird, ist der Tagesablauf der Frauen diesem Rhythmus unterworfen, beginnt ihr Arbeitstag früher und endet später, als es ohne eigene Tierhaltung erforderlich wäre. Individuelle Tierproduktion als Komponente ländlicher Lebensweise ist optimal nur arbeitsteilig, kooperativ und also familienbezogen zu bewältigen. Sie beeinflußt den häuslichen Tagesrhythmus. Auch in dieser Hinsicht ist der Begriff "individuelle" Hauswirtschaft inadäquat.

Die durchaus sehr schwierige Beantwortung der Frage, wie sich die Familienmitglieder in die häuslichen (einschließlich agrarischen) Arbeitsprozesse teilen, ist belangvoll für die gesellschaftliche Situation der betreffenden Frauen, denn in der Familie werden mit dem Arbeiten zugleich die Quantitäten außerhäuslicher Aktivität verteilt, werden die zeitlichen und kräftemäßigen Möglichkeiten zur Teilnahme am ökonomischen, politischen und geistig-kulturellen Leben von Genossenschaft und Gemeinde bestimmt. Der momentane Forschungsstand erlaubt jedoch nicht, hierzu empirisch gesicherte Aussagen zu treffen.

1.4. Das Einkommen der berufstätigen Mütter

Ein eigenes Einkommen der Produzenten gab es in der Familienproduktion der Einzelbauern im eigentlichen Sinne nicht,, nur eine Verfügung des Familienvorstands über die Verteilung und Anwendung des gemeinsamen Produkts. Eine wirkliche Selbständigkeit des individuellen Einkommens gab es im wesentlichen auch dort nicht, wo feudal versetzte Lohnverhältnisse (Tagelöhnerei, saisonale Beschäftigung auf Gütern u.ä.) herrschten, denn die Kargheit dieser Einkünfte hat sie von Anfang an vollständig unter die Familieninteressen subsummiert, denn es handelte sich um nicht mehr als Subsistenzmittel, so daß es keinen nennenswerten persönlichen Verwendungsspielraum geben konnte.

In der vergesellschafteten Agrarproduktion und der in ihr durchgeführten außerhäuslichen Berufstätigkeit von Mann und Frau wird das individuelle Einkommen durch individuelle Leistung im Rahmen der Genossenschaft oder des volkseigenen Betriebes erworben. Da es das Niveau der reinen Subsistenz quantitativ überschreitet, gibt es Verfügungsspielräume, vor allem aber - im Rahmen der juristischen Gleichstellung beider Geschlechter und des sozialpolitischen Schutzes der Rechte der Frau - eine ökonomische Selbstbestimmung für sie. Ohne diese ökonomische Selbstbestimmung auf der Basis des eigenen Einkommens müßte die Gleichberechtigung formal bleiben. Auch für ihre Position innerhalb der Familien ist dieses eigene Einkommen von Belang, indem es eine gleichwertige Partnerschaft materiell fundiert.

Die Höhe des Einkommens wird von der Leistung, aber auch der Position im gesellschaftlichen Produktionsprozeß bestimmt, und diese Position bestimmt sich bei den Frauen im Kontext mit ihrer familialen Situation und Lebensgestaltung. Beispielsweise ist es eine einkommensrelevante Positionsverteilung, wenn in der unmittelbaren Pflanzenproduktion des Kreises Pasewalk 81 % der Männer, aber nur 7 % der Frauen Technik bedienen.Quelle!Quelle!

Das Einkommen der Frau ist ein fest eingeplanter Posten im Budget der Familien der Genossenschaftsbauern. Die ALB 84 spiegelt das in folgender Weise wider. Die Stichprobe männlicher Probanden kann nur unter Vorbehalt gesondert ausgewiesen werden, jedoch sind die Abweichungen in den Auffassungen zwischen Frauen und Männern durchaus erklärliche, interessante Gegebenheiten.

In ihrer Relevanz waren folgende Aussagen zu bewerten:

  1. Das Einkommen der Frau ist ein fest eingeplanter Posten im Budget Wir brauchen dieses Einkommen zur Sicherung unserer täglichen Bedürfnisse!
  2. Wir brauchen es, damit wir uns etwas anschaffen können!
  3. Es ist nur eine Aufbesserung unserer finanziellen Verhältnisse!
  4. Wir könnten auch ohne dieses Einkommen gut leben!
  5. Die Frau arbeitet, weil es ihr Spaß macht; das Einkommen ist dabei nicht so wichtig.
  6. Es sichert ihr die ökonomische Unabhängigkeit!

Kontradiktorisch aussagende Probanden wurden in der Auszählung eliminiert (Kontradiktionen traten auf zwischen 1. und 2. einerseits und 3. und 4. andererseits).

Tabelle 6:
Rolle des Einkommens der Frauen in den Familienhaushalten der Genossenschaftsbauern (Befragung ALB 1984)

Im Einzelnen scheinen uns folgende Ergebnisse hervorhebenswert:

  1. Am deutlichsten äußern sich die Probanden zur Bedeutung des Einkommens der Frau für die Sicherung täglicher Bedürfnisse und zusätzlicher Anschaffungen. Nennenswerte Abweichungen in den Ansichten zwischen männlichen und weiblichen Probanden zeigen sich in der Bedeutung des Einkommens der Frau für die Sicherung der täglichen Bedürfnisse. Die Männer ermessen die Bedeutung wahrscheinlich dort nicht im vollen Umfang, wo sie mit den Finanzoperationen des Einkaufs von Waren des täglichen Bedarfs weniger zu tun haben.
  2. Die großen Bewertungsunterschiede hinsichtlich der Frage, ob das Einkommen der Frau nur eine Aufbesserung der finanziellen Verhältnisse sei, weisen darauf hin, daß Männer noch eher dahin tendieren, daß Frauen die Berufstätigkeit aufgeben sollten, soweit das Einkommen des Mannes dies erlaubt.
  3. Der Eigenwert der Berufstätigkeit unabhängig vom Einkommen wird von der Mehrheit der Probanden verneint. Freilich kann die Haltung zur Berufstätigkeit nur bedingt aus Sicht des Einkommens erfragt werden.
  4. Besonders die Einschätzung der Bedeutung des Einkommens der Frau für ihre ökonomische Unabhängigkeit verlangt eine Reflexion der eigenen Verhältnisse, was für unsere Probanden durchaus nicht selbstverständlich ist. Doch gerade hier werden geschlechtsspezifische Einschätzungen sichtbar. Die Frauen sehen diese Bedeutung ihres Einkommens weit klarer als die Männer.

Was auf der Ebene des gesellschaftlichen Produktionsprozesses der Vergleich zwischen Individuen beider Geschlechter ist, stellt sich im Familienrahmen als Anteil von Mann und Frau an der Erwirtschaftung des gemeinsamen Einkommens dar. Um sich hier ein Bild verschaffen zu können, muß die Kenngröße "Anteil der Frau am Eheeinkommen" gebildet werden. In der Einkommensstatistik wird aber üblicherweise das Haushaltseinkommen erfaßt, in das die Einkünfte aller erwachsenen Haushaltsmitglieder einfließen.

1.5. Die Berufstätigkeit der Mütter in ihrer immateriellen Bedeutung

Die Berufstätigkeit der Frau bereichert das Familienleben nicht nur durch ihren Beitrag zur materiellen Basis von Haushalt und Familienleben. Gerade aus der beruflich bedingten Kommunikation ergibt sich eine familienrelevante Horizonterweiterung. Bereichert wird die Bedürfnisstruktur durch Möglichkeiten des Vergleichs. Aus Gesprächen mit den Kollegen werden Anregungen für die eigene Lebensgestaltung bezogen. Nicht zuletzt entwickeln sich in diesem offenen Raum Ansprüche an die Partnerschaft. Auch für die Erziehung der eigenen Kinder ist der Meinungs- und Erfahrungsaustausch, ist der Konsultativraum Arbeitskollektiv in der DDR von hochrangiger Bedeutung.

   

In den nachfolgend dargestellten Aussagen der genossenschaftsbäuerlichen Probanden in der ALB 84 schlagen sich diese Zusammenhänge nicht im erwarteten Maße positiv nieder. Gründe dafür sind u.E. in drei Richtungen zu suchen:

Zwei Behauptungen waren zu bewerten:

  1. "Eine Frau, die eine Tätigkeit ausübt, in der sie ihre Qualifikation voll nutzt, kann die Entwicklung ihrer Kinder besser fördern!"
  2. "Eine Frau, die gesellschaftlich aktiv ist, kann besser zur allseitigen Entwicklung ihrer Kinder beitragen!"

Die Ergebnisse zeigen folgendes Bild:


43,0 43,0
Aussagezutreffendteilweisenicht zutreffendProbanden"Ich weiß nicht"
1.35,1 43,0 17,9 151,0 4,0
2. 35,3 40,7 18,7 150,0 5,3

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