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"Das Sanduhrbuch"
von Ernst Jünger,
erschienen 1954 im Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt a. M.

"Alles deutet darauf hin, daß das Wort Zeit die verschiedensten Bedeutungen besitzt. Aber es handelt sich nicht nur um Wortbedeutungen, sondern um Schichten, die uns umlagern und auch durchdringen wie ein Labyrinth. Wenn uns bei einer Zeitbetrachtung dieser ihr labyrinthischer Charakter aufgeht, ist bereits viel gewonnen, denn das Rätsel der Zeit wird niemand auflösen.
Doch ihre Mannigfaltigkeit schafft Spiegel, in denen auch das, was wir 'unsere' Zeit nennen, deutlicher und damit deutbarer werden kann." (S. 16)

"In diesem Sinne ist die Sanduhr ein guter Stützpunkt für die Kritik der Urteilskraft, ein ruhender, vorkopernikanischer Einschluß in unserer kreisenden Welt. Das gilt umso mehr, als wir an einer Marke stehen, welche die kopernikanische von einer neuen Zeit- und Raumauffassung trennt." (S. 46-47)

Im Folgenden gibt es 3 Punkte:

Was mich für das Sanduhrbuch einnahm

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In meinem Koordinatensystem verlief die Zone des grundlegenden Übergangs in die Neuzeit zwischen vorindustrieller und industrieller Epoche. Der Mann mit der Sanduhr hatte einen anderen Bezugspunkt gefunden. Der lag in der Klosterzelle eines unbekannten Mönchs des 10. Jahrhunderts. Dieser soll die erste Räderuhr gebaut haben.

"Unsere Fernsicht wird wie durch eine dichte Atmosphäre durch unsere Zeit getrübt. Und doch ist der Gedanke, Zeit durch jene Maschinen, die wir Uhren nennen, zu messen und abzuwiegen, einmal gefaßt worden. Er wurde ergriffen und in unsere Welt hineingezogen aus dem Unvermessenen heraus." (S. 89)

Wie ich zu diesem Text kam

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Ich gehörte zum Heer der Ideologen der DDR, konkret: Ich war an der Sektion Marxismus-Leninismus der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald beschäftigt. Damit ich für meine Dissertation auch "Westliteratur" nutzen konnte, wurde mir dafür ein "Giftschein" (offiziell: wissenschaftlicher Verwendungsnachweis) ausgestellt. Und nun geschah etwas Paradoxes, worüber ich später auch in einem Artikel berichtet habe: "Mein schwieriger Umgang mit Punktschriftbüchern" ("Horus" 3/1991).

Als blinder Nachwuchswissenschaftler versorgte ich mich mit Literatur - soweit das ging - via Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig. Dort gab ich auch den "Giftschein" ab. Das muß so ungefähr 1979 gewesen sein und er wurde anerkannt bis zum Ende der DDR. So hatte ich einen unbeobachteten Zugang zu westlicher Literatur, der freier war als der vieler meiner sehenden Kollegen. Meinen Wolfgang Leohnhard, meinen Rudolf Bahro und eben auch den Ernst Jünger hatte ich schon in mir, als die Käseglocke sich über uns allen hob.

Ernst Jünger war in der DDR aus den selben Gründen ein unerwünschter Autor, die auch für einen Großteil der Meinungsführer in der Bundesrepublik maßgeblich waren. Er hatte ganzen Generationen von Gymnasiasten die Stahlgewitter des Krieges schmackhaft gemacht. Er hat das rechtsnationale Lager mit geistigem Tiefgang versorgt.

Philosophie, die mich interessiert, dreht sich immer um die existentiellen Fragen:

Philosophie, die uns zu erschüttern, zu bewegen, zu ergreifen vermag, muss sich wohl mit diesen unseren Koordinaten beschäftigen.

Sanduhrzeit lebt in uns allen, nicht nur in Kinder-, Garten- und Ferientagen, sondern tief auf dem Wesensgrund. Sie ist etwas anderes als die Zeit der mechanischen Uhren, etwas anderes aber auch als Sonnenzeit. Vielleicht lohnt es der Mühe, sie darzustellen, so wie man aus dem Schutt kaum noch befahrener Stollen ein seltenes Gestein gewinnt. Es mag in sonderbaren Kristallen blinken, vielleicht gar Heilkraft bergen oder auch nur die Kuriosität befriedigen. Wir werden sehen." (S. 15)

Zur Frage der Aktualität i. J. 2004

Es ist nun 50 Jahre her, dass dieses Buch das Licht der Geisteswelt erblickte und es ist 25 Jahre her, dass es mich zum ersten mal beschäftigte. Damals lebten wir in einer Epoche, die zu diagnostizieren wohl kaum noch spannend ist. Was wird es meinen Zuhörern geben, wenn ich da vorlese:

"... Fortschritt und Wiederkehr. Eine Klärung und Zuordnung der zeitlichen Elemente würde verdienstvoll sein, da dieser Antagonismus unsere Epoche kennzeichnet und seine Lösung ihre Hauptaufgabe ist. Dahinter tritt selbst dir Oswesfrageück, zu deren Merkwürdigkeiten übrigens gehört,daß diese beiden Mächte sich, zeitlich gesehen, mit verkehrten Vorzeichen gegenüberstehen,der Osten mit progressiv, der Westen mit zyklisch bestimmter Tendenz. Das ist ein Kennzeichen noch nicht endgültig ausgeprägter Standorte." (S. 53)

Ein Ende der Herrschaft des Mechanismus über die menschlichen Lebensrhythmen schien Ernst Jünger greifbar zu sein.

"Der Sand, der durch das Zeitglas rieselt, und der Quarz, der in der Atomuhr elektromagnetische Wellen steuert, sind ein und desselben Stoffes - hier vor und dort nach der neuen Vermählung des Geistes mit der Materie.
Dieses Datum, das wir als Umkehr zu den Elementaruhren auf höherer Ebene bezeichnen möchten, sehen wir ein Kennzeichen der allgemeinen Wandlung, in der wir begriffen sind." (S. 200).

Aber längst glaubt keiner mehr an die Mächtigkeit des Geisteshelden, den Jünger damals aus den Gedankenlabyrinthen aufsteigen sah:

Sein "Optimismus gründet sich auf das Bewußtsein der Teilnahme an einem letzthin sinnvollen,, wenngleich unergründlichen Schicksalsgang. Er führt durch Klippen und Anfechtungen hindurch, die mit den Konstellationen wechseln, doch die den Mutigen begleiten bis zum letzten Schritt. Sie sind seine Bestätigung." (S. 106)

Das wird mir nicht so einfach über die Lippen kommen und bedarf zumindest der künstlerischen Brechung. Den Widersprüchlichkeiten auszuweichen - das wäre aber zu billig.

"


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Erstellt am 29.02.2004Zuletzt geändert am 29.11.2006 Mail an den Seitenautor: Jürgen TrinkusZur Homepage von J. Trinkus!