Über Heinz-Florian Oertel - die Reporter-Legende

Der Text dieser Site wurde von Heinz-Florian Oertel selbst durchgesehen und - wo nötig - berichtigt.

Beim Aufruf dieser Seite sollte schon ein Satz aus dem Munde von Heinz Florian Oertel zu hören gewesen sein, der uns mitten hinein führt in das Thema der VII. Boltenhagener Tage für akustische Medien:

"Vieles sprach ich als Hörfunkmann, manches aber auch als Fernsehkommentator und klar: da gibt es schon Unterschiede."

Ein Foto von Heinz Florian Oertel kann besichtigt werden. Hörproben aus seinen Reportagen gibt es auf einer Extraseite. Eine Leseprobe aus "Höchste Zeit" passt zum Thema der Medientage 2005. Und was ist hier auf dieser Seite über den rasenden Rundfunkreporter zu lesen?

Zu seiner BedeutungSein LebenVeröffentlichungen

Bedeutung

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"Es ist wohl doch nicht alles gut gewesen in der DDR, aber ihre alten Sportreporter waren vom Feinsten. Vor allem die vier Evangelisten - Wolfgang Hempel, Werner Eberhardt, Hubert Knobloch, Heinz Florian Oertel - berauschten ihre Gemeinde mit herzaufregender Verkündigung. Aus dem Röhrenradio orgelten die Stimmen: Friedensfahrt, Olympia, die immergrüne Vierschanzentournee, die Fußball-Oberliga-Konferenz. Ach, und all die Schlachten draußen in der Welt!"

So schreibt der wunderbare Publizist Christoph Dieckmann in seinem Nachruf auf Wolfgang Hempel und Hubert Knobloch in der "Zeit" vom 13.01.2005 / 03 / S.57 unter der Überschrift "Die Meistersinger". Ihm, der aus theologischem Hause stammt, wird man den freihändigen Umgang mit kirchlichen Metaphern wohl verzeihen.

Sie werden in einem Atemzug genannt, die prägenden Reporter des Nachkriegsdeutschland west - Herbert Zimmermann und Werner Hansch - und der Altmeister der DDR-Sportberichterstattung Heinz Florian Oertel. Wie sie steht er in der Tradition eines Rolf Wernicke (Hier darf per Link abgeschweift werden zu einer Hörprobe von Rolf Wernicke 1936!). In seiner Omnipräsenz, Langzeitwirkung und Nachhaltigkeit überragt er die westdeutschen Kollegen um Größenordnungen. In Augenhöhe steht er mit den Generations- und Fachkollegen der ARD wie Harry Valérien und Sammy Drechsel, denen er sich auch während des Kalten Krieges verbunden fühlte. Einen prägenden Einfluss auf Oertel übte die Sportberichterstattung der österreichischen Schule aus, für die vor allen anderen Heribert Meisel (1920-1966) steht (auch hier die passende Hörprobe: Meisel aus Tokio 1964! Stark inspiriert haben Oertel auch die lateinamerikanischen, vor allem die brasilianischen Zungenakrobaten und emotionalen Vulkane.

Ehe aber von Oertels Engagement für den Breitensport und in der Fernsehunterhaltung die Rede sein soll, ist bei den Dimensionen der Sportberichterstattung zu verweilen.

Bei 17 Olympischen Spielen von Helsinki 1952 über Cortina d'Ampezzo und Melbourne 1956, Rom 1960, Insbruck und Tokio 1964, Grenoble und Mexico 1968, Sapporo und München 1972, Insbruck und Montreal 1976, Lake Placid und Moskau 1980, Sarajewo 1984, Calgary und Seoul 1988; bei 17 Friedensfahrten, 8 Fußballweltmeisterschaften, kaum zählbaren Europa- und Weltmeisterschaften im Eiskunstlaufen, Skispringen, Leichtathletik- und anderen Großereignissen war er für den DDR-Hör- und Fernsehfunk vor Ort. Parallel zu Heribert Faßbender komentierte er das Fußball-WM-Duell beider deutscher Nationalmannschaften 1974 in Hamburg mit dem entscheidenden Sparwasser-Tor.

Seine 1969 gestartete Live-Interview-Sendung "Porträt per Telefon" brachte es im Deutschen Fernsehfunk auf 254 Folgen. Dass die dabei entstandene Unterschriftenwand von den Abwicklern des DDR-Fernsehens achtlos auf den Müll geworfen wurde, verbittert den mit Recht, der stets gegen Ende der Sendung seine prominenten Gäste dorthin zur Unterschrift geleitet hatte.

Mit Oertels Namen verbunden sind Sendereihen wie "Schlager aus Berlin", "Schlager einer kleinen Stadt", "Schlager einer großen Stadt" und "Ein Kessel Buntes". Über all dem hielt er seinem Stammsender Berliner Rundfunk die Treue und moderierte die vom ihm mit begründete Frühstücks-Show "7-10, Sonntag Morgen in Spreeathen" und die dem Breiten- und Massensport verpflichtete wöchentliche Sonnabendvormittagssendung "He-he-he, der Sport an der Spree". Über 40 Jahre lang blieb er der "Lausitzer Rundschau" und 30 Jahre der "Berliner Zeitung" als Collumnist verbunden.

Die zahlreichen Freunde unter den Kollegen und Sportlern nannten ihn "Flori". Zitieren wir noch einmal Christoph Dieckmann aus dem oben genannten "Zeit"-Artikel:

"Heinz Florian Oertel. Bekanntestes Organ der DDR. 17-maliger »Fernsehliebling«, Exschauspieler, Conférencier. Lächelnde Stimme, sonore Jovialität. Sport war ihm Unterhaltung. Er kommentierte leichthin, ohne letzten Ernst - sein Ideal war nicht nur Wernicke, sondern auch Heribert Meisel: der Wiener Schmäh."

Biographie

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Heinz Florian Oertel wurde am 11. Dezember 1927 als Sohn eines Webers und einer Reinemachefrau in Cottbus geboren. In der Schule tat er sich als Hochspringer hervor, probierte sich im Diskuswerfen und Fußball aus, zeigte besondere Stärken aber auch als Rezitator. Schon als 14-jähriger Schüler fühlte er sich zur Zauberwelt des Theaters hingezogen. Zunächst aber holte den 16-Jährigen der kolabierende Krieg ein. War er noch im Sommer 1944 zu einem Hochspringerlehrgang nach Bayern geschickt worden, wurde er nach seiner Heimkehr zum Bau des wahnwitzigen "Ostwalls" und zum Reichsarbeitsdienst kommandiert. Die Einberufung zum Militärdienst konnte der 17-Jährige glimpflich lenken, da er sich als Freiwilliger zur Kriegsmarine meldete, was vor dem Fronteinsatz Ausbildung bedingt. Das Kriegsende erlebte er in Schleswig-Holstein, wo er in britisch-kanadische Gefangenschaft geriet. Der Heimweg führte u.a. übers katholische Unterfranken, wo er im Juni 1946 in die KPD eintrat.

Als 18-jähriger Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft bewarb sich Oertel bei ca. 20 deutschen Theatern um ein Anfängerengagement als Schauspieler und nach Möglichkeit Ausbildung an einer angeschlossenen Schauspielschule. "Bevor ich je daran dachte Sportreporter zu sein, peilte ich voller Lust und Überzeugung diesen Beruf an." Im Herbst 1946 begann er als Schauspielanfänger und Regieassistent am heimatlichen Cottbuser Stadttheater.

Die Anwartschaft des Anfängers mit 80 Mark Monatsbezug war weder moralisch noch sozial befriedigend. Mit 21 Jahren trat Heinz Florian Oertel nach einer Kurzausbildung am Lehrerbildungsinstitut 1948 in den Schuldienst als Lehrer für Deutsch ein aber mehr noch für Sport und nahm sein sportliches Engagement wieder auf. Ein Weggefährte von den frühen Lehrerzeiten an in den Rundfunk und ins gespaltene Deutschland hinein war Oskar Klose (1926-1976).

Von 1949 bis 1991 - also für die gesamte Zeit von dessen Existenz - war Oertel beim DDR-Hörfunk und seit 1955 auch beim DDR-Fernsehen beschäftigt. Der Weg begann im Studio Cottbus (1949), führte über das Funkhaus in der Masurenallee (1950) in die Oberschöneweider Nalepastraße, wo er auch seine Frau kennenlernte, eine Studiotechnikerin.

Auftakt seiner internationalen Reportereinsätze waren die Olympischen Sommerspiele 1952 in Helsinki. Geformt hat ihn auch die Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. Zwar konnte er diese letztlich nur am Radio eines Spitals verfolgen, wohin er sich mit einem geplatzten Blinddarm verfügen musste. Es waren aber letztlich die "Stimmenmusik und Reporteremotionen" der deutsch-schweizerischen, italienischen und französischen Kollegen, die er einsaugte. Das Berner Finale lieferte dem DDR-Rundfunk Reporterfreund und Kollege Wolfgang Hempel.

Offenbar fühlte sich der Sportreporter schon von Anfang an neben der Information auch der Unterhaltung verpflichtet. Beim Berliner Rundfunk beteiligte er sich an der Entwicklung von Unterhaltungssendungen, die er nicht selten selbst moderierte. Der unschlagbare Dauerbrenner in dieser Hinsicht war die 1966 gestartete sonntägliche Frühstücksshow "7-10: Sonntagmorgen in Spreeathen", deren alleiniger Moderator er zunächst war. Mindestens ebenso bemerkenswert und Gegenstand berechtigten Stolzes ihres Miterfinders Oertel ist die seit 1971 bis zum Ende des DDR-Rundfunks 1074 Mal gelaufene wöchentliche Sendung am Sonnabend Vormittag: "He-he-he, der Sport an der Spree". Deutschlandweit einmalig war die Sendung, "weil sie sich auf den kleinen Sport konzentrierte. Nicht die Asse und Clubs standen im Mittelpunkt sondern Kinder- und Jugendsport, Frauensport, kleine Gemeinschaften und deren Übungsleiter und Helfer", schreibt Oertel im Rückblick. Und es war die ganze Sportreporterelite der DDR, die sich für dieses Berliner Regionalprojekt einspannen ließ: Werner Eberhardt, Marian Honrighausen, Thomas Schwarz und Gerhard Kohse. Hier begann auch der heutige Tagesschausprecher Jens Riewa seine Laufbahn. Zu den sportlichen Impulsen, welche diese Sendung gab, gehört der Berliner Neujahrslauf, der sich erfolgreich ins Gesamtberlinische, Gesamtdeutsche wendete.

Seit 1955 arbeitete Heinz Florian Oertel auch fürs Fernsehen. Für dieses berichtete er über 25 Jahre von Eiskunsteuropa- und Weltmeisterschaften. Seit 1969 liefen mehr als 250 Folgen der 45-minütigen live-Interview-Sendungen "Porträt per Telefon".

Seit Abwicklung des DDR-Rundfunks ist Oertel freiberuflich tätig, moderierte beim ORB-Fernsehn und beim RIAS-Nachfolger RS II, arbeitete für NDR1 Radio MV und ist ein gefragter Gast von Galas und Veranstaltungen, die er oft moderiert - freilich primär in Ostdeutschland, was nicht verwundert, denn im geteilten Deutschland war es in hohem Maße seine Stimme, die vor allem dem DDR-Volk Momente überschäumender Freude vermittelte und Höhepunkte markierte.

Akademisches:

1980-81 promovierte er zum Thema "Persönlichkeitseigenschaften und Tätigkeitsqualitäten sprechender Reporter". Er unterrichtete Journalistik-Studenten zunächst in Leipzig und anfang der NeunzigerjJahre als Rhetorik-Dozent an der Freien Universität Berlin und Lehrbeauftragter für Sport- und Publizistik an der Universität Göttingen.

Familie

Heinz Florian Oertel ist verheiratet und lebt in seinem Haus in Berlin-Pankow. Er hat einen Sohn und zwei Töchter und ist inzwischen auch vierfacher Opa.

Seine Kinder sind nicht in die Fußstapfen des Vaters getreten. Zwei von ihnen sind Rechtsanwälte und eine der beiden Töchter ist Chefdramaturgin am Gorki-Theater Berlin. Heinz Florian Oertel verbringt seine Zeit gerne mit der Familie, spaziert gern mit seinem Hund durch die Schönholzer Heide, liebt Sauna und Theater. Seine Lebensmaxime: Lebe so, wie du es von anderen erwartest. Und immer gilt: Weniger ist mehr.

Autogrammadresse: Heinz Florian Oertel
c/o Eulenspiegel Verlagsgesellschaft
Rosa-Luxemburg-Straße 39
10178 Berlin

Veröffentlichungen

Bücher / Tonträger

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Heinz Florian Oertel hat seinen Weg als Sportreporter mehrmals in Büchern reflektiert, zum ersten Mal 1958 ("Mit dem Sportmikrofon um die Welt"), erneut 1966 ("Immer wieder unterwegs"), 1984 ("30 Jahre wie ein Sprint") zuletzt 1998 ("Höchste Zeit") und 1999 ("Nachspiel-Zeit"). Von ihm selbst zusammengestellte und kommentierte Tonträger mit Reportageausschnitten erschienen 1966 und 1997. Zu den Olympischen Spielen in Sidney, Salt Lake City und Athen kamen Olympiabücher heraus, die Oertel gemeinsam mit Kristin Otto bzw. Katarina Witt veröffentlichte.

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Als Hörbücher für Blinde

Jenseits aller Kommerzialität bieten Blindenbüchereien mit Genehmigung der Verlage vollständig und sachgerecht aufgelesene Bücher für ihre berechtigten Nutzer zur kostenlosen Ausleihe. In der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig stehen folgende Bücher von Heinz Florian Oertel zur Verfügung.:

Späte Hörfunkarbeiten

Aus der vielfältigen Arbeit des "Rentners" Oertel möchte ich eine Sendereihe herausgreifen, in der Heinz Florian Oertel Prominente im Porträt per Mikrofon vorstellte. Dazu hatte ihn 1994-1997 NDR1 Radio MV eingeladen, was mich insofern mit einem Gefühl der Genugtuung erfüllt, da ich in derselben Zeit ebendort Gelegenheit bekam, mich auf dem gleichen Sendeplatz ("Klönkasten") in der Kunst der radiophonen Menschenbefragung zu versuchen.

Liste der Gesprächspartner der Reihe "Zu Gast bei Heinz Florian Oertel" einblenden!

Sportreporter-Hörproben Leseprobe Oertel auf dem Foto!
Medientage 2005: Ablauf Medientage Anmeldung Medientage allgemein
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Erstellt am 11.07.2005Zuletzt geändert am 07.01.2007 Mail an den Seitenautor: Jürgen Trinkus