Vom Hootenanny- zum Oktoberklub und wieder weg!

Als die DDR am 13. August 1961 ihre Grenzen zum Westen hermetisch abdichtete, waren die entsetzt, die in diesem "Gänsefüßchenland zwischen Elb- und Oderstrand" nur ein vorübergehendes Übel erblickten. Eine Chance, endlich ohne Stör- und Sperrfeuer sich und ihre Visionen zu verwirklichen, sahen darin diejenigen, die von der Idee fasziniert waren, den ganz großen Sprung vom Ich zum Wir als äußere und innere Befreiung zu vollbringen. Eine Generation war flügge geworden, die keine persönliche Kriegsschuld mit sich herumtrug, die DDR als persönliche Chance und Herausforderung auffasste und doch voller Ehrfurcht auf die Vorkämpfer schaute, die im antifaschistischen Widerstand Leben und Gesundheit riskiert hatten. Darauf hat Wolf Bierman einmal hingewiesen, daß er sich in diesem Punkte von den anderen jungen Wilden des Sozialismus wie Christa Wolf unterschied, daß er als zugereister Sohn eines von den Nazis ermordeten Kommunisten nicht diese Ehrfurcht, diesen Respekt empfand, den er als ein Gewissensproblem der Kinder der Täter interpretiert. Dieser Respekt der Jungen gegenüber den Parteialtvorderen war der Rahmen, innerhalb dessen genug Raum zu sein schien, um eigene Ansprüche anzumelden, einen eigenen, neuen Stil zu suchen und ein neues kulturelles Wir-Gefühl aufzubauen. Eine breite Lyrikbewegung war ebenso Ausdruck dessen wie der neue Gesang. Das Instrument dieses Anfangs ist die Gitarre, die schon bei den Wandervögeln, Pfadfindern und Jungpionieren der Weimarer Republik als Klampfe dabei war und schon die jungen Brecht und Wedekind begleitete. Nun kam sie - und mit ihr auch das Banjo - aus Amerika. Perry Friedman hatte sie im Gepäck als er 1959 nach Ostberlin zog.

Der Aufbruch fällt in eine Zeit, als keiner die alten Estradenlieder mehr hören mochte und den Beat aus angloamerikanisch-westdeutschen Röhren nicht hören sollte. Diese Jugend stand nicht unter dem lähmenden Einfluß der reprässiven Wendungen der Jahre 1953 (17. Juni) und 1956 (Niederschlagung des ungarischen Aufstandes mit den Folgeabrechnungen (z.B. die Prozesse gegen Haarig und Janka).

Die ersten Hootenanny-Veranstaltungen fanden in der DDR im Jahr 1960 statt. 1962 kam der neue Zeitgeist durch den Film "Auf der Sonnenseite" mit Manfred Krug in der Hauptrolle zum Ausdruck. Krug wandte sich auch den amerikanischen Protestsongs zu, die er in deutschen Nachdichtungen sang und auf Platten popularisierte. Ab 1963 war er einer der Hauptakteure der Veranstaltungsreihe "Jazz und Lyrik".

Die Lyrikwelle der frühen 60er Jahre drückte sich in Veranstaltungen aus, bei denen die Poesie immer öfter auch in Lieder umgesetzt wurde.

Kurz nach dem Deutschlandtreffen 1964 begann das Jugendstudio DT64 mit regelmäßigen Sendungen, in denen später auch das "Jugendlied" eine eigene Hitparade und zahlreiche weitere Sendeplätze fand.

Auch im Jahr 1964 formierte sich die Beatformation Team 4. Thomas Natschinski war ihr musikalischer Kopf. Seine Titel gingen mit den Texten von Hartmut König als bahnbrechend in die Rockgeschichte nicht nur der DDR ein, denn sie waren der erste gekonnte Versuch, den Beat mit deutschen Texten zu vereinen. "Team 4" trat später öfter mit dem Oktoberklub auf, für den Hartmut König auch Lieder schrieb.

Die Musik, für die die Beatles prägend waren, wurde sogar vom Zentralrat der FDJ als proletarischer Ausdruck der technischen Revolution gebilligt.

Über diesen breiten kulturellen Aufbruch in Literatur, Musik, Malerei und Filmkunst hat das 11. Plenum des ZK der SED 1965 ein wahres Scherbengericht gehalten. Filme und Beatgruppen wurden verboten, Literaten abgekanzelt und verantwortliche Funktionäre zurechtgewiesen.

Das entstandene kulturelle Vakuum war für die Entstehung von Singeklubs günstig. Als in Leipzig z.B. die Gittarrenband Buttlers verboten wurde, fanden Klaus Renfts Mannen im Leipziger Songklub eine zeitweilige Bleibe.

Aus den Hootenanny-Veranstaltungen ging die Reihe "Treff mit Perry" hervor. "Bei diesen Veranstaltungen nimmt die Idee Gestalt an, einen festen Veranstaltungsort zu finden und dort einen Chanson-Klub zu gründen. Die Wahl fällt auf den Klub International, der sich im Gebäude des gleichnamigen Kinos, in der Karl-Marx-Allee befindet."

So entstand der Hootenannyklub. Zu seinen Gründern gehören Bettina Wegner, Uta Schorn, Reinhold Andert und Jörn Fechner. Die Keimzele der Singebewegung war entstanden.

Am 15. Februar 1966 kam es zur Gründung des ersten Hootenanny-Klubs der DDR. Im Laufe des Jahres entstanden in Berlin fünf weitere. In Dresden wurde am 27. 10.1966 ein Hootenanny-Klub gegründet, mit dabei u. a. Barbara Kellerbauer und Bernd Walther. 1967 wurde daraus die Folkloregruppe der TU Dresden (später grUppe pasaremos, Songgruppe der TU Dresden, Schicht).

Die Hootenannies im Klub International und auch in größeren Sälen Berlins fanden in der Regel monatlich statt. Außerdem gab es eine Hootenanny-Werkstatt, man machte Skifflemusik zur Maidemonstration, sang am Lagerfeuer, DT 64 charterte einen "Hootenanny-Dampfer", und im Sommer fand eine Ostseetournee 'Hootenanny und Lyrik' statt.

Im September 1966 greift der FDJ-Zentralrat per "Beschluß zur Entwicklung der Singebewegung" nach der spontanen und bunten Szene. Intention dieses Beschlusses ist die Entwicklung des Massensingens und einer möglichst großen zahl von - hier fällt der Begriff nun offiziell - Singeklubs. 1967 entstehen hunderte, in der Folgezeit tausende von ihnen. Mancher aus der Generation der heute 40-50-Jährigen hat in Schulen und Betrieben über die Singeklubs zu neuen Ausdrucksmitteln und unvergesslichen Gemeinschaftserlebnissen gefunden.

Werkstattage und -wochen (seit 1967), Festivals des politischen Liedes (seit 1970), Pfingsttreffen der FDJ (die Nachfolger der Deutschlandtreffen) waren Höhepunkte im Leben der "Singezähne".

Die Breite der Bewegung mit einem gewissen Standardrepertoire hält künstlerischen Ansprüchen kaum stand. Aber der ehrgeizigere Teil der Bewegung entwickelte allmählich anspruchsvolle Ausdrucksformen, geschlossene Programme, Kantaten und Bühnenstücke. Was mit dem spontanen Anfang in den Händen der Kampagneorganisatoren wurde, zeigt eine Einschätzung der zentralen Beratergruppe aus dem Jahre 1978, die L. Kirchenwitz zitiert:

"Waren die Klubs in den Anfangsjahren der FDJ-Singebewegung noch kleine Freizeitkollektive, die hauptsächlich aus Spaß an einer gemeinsamen Sache zusammenkamen - und zum Beispiel auch ohne Bühne miteinander sangen -, so sind heute sehr viele junge Gruppen eigentlich nur noch Auftrittsgruppen'. Sie werden von Institutionen und Organisationen zu beinahe jeder Gelegenheit vermittelt, sei es zur Umrahmung einer Festrede oder zur Untermalung eines Essens. Diese ,Auftrittsgruppen' arbeiten und leben von einem Anlaß zum nächsten. Das bestimmt ihr Repertoire, denn es werden ja nur noch ,Anlaß Lieder' gebraucht, und das läßt den Freizeitspaß verkümmern, die Geselligkeit. Damit verkümmert aber gleichzeitig, was der Singebewegung einmal Popularität und öffentliche Anerkennung eingebracht hat: ihre Spontaneität, ihre Lockerheit und die Heiterkeit der Singeveranstaltungen, die die Klubs sich selbst organisiert hatten und deren Charakter sie also bestimmen konnten." (a.a.O. S.53-54

Das Monopol der FDJ-Singebewegung auf die Musikantenfreude junger Leute wurde durch die Kulturpolitik der folgenden Jahre selbst abgeschafft. Auf dem VIII. Parteitag der SED warf Erich Honecker 1971 das Ruder zunächst herum und anerkannte u.a. auch solche realen Bedürfnisse wie das nach Rockmusik. Rockformationen, die bereit und fähig waren, mit DDR-deutschen Texten aufzutreten, wurden gefördert. Die Discotheken wurden zu einer festen Größe im Vergnügungsleben.

Wer jetzt bei der Liederbewegung blieb, meinte es ernst.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre kam es zu einer starken Ausdifferenzierung, wobei der Oktoberklub - nur teilweise berechtigt - im Geruch einer Jubeltruppe des Establishments stand. Ab 1976 begann sich die Folkszene zu formieren. 1976 entstanden die Folkländer (Leipzig) und 1978 die Gruppe Wacholder (Cottbus). Mit den Frankfurter Chansontagen erhielten auch die Liedermacher eine eigene Tribüne. Professionelle Gruppen etablierten sich in größerer Zah.

Der Rest der Geschichte soll weiter unten aus persönlicher Sicht beschrieben werden.

 

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Erstellt am 25.11.1998HTML-Fassung im April 2002Zuletzt geändert am 20.06.2004