Hört die Funksignale

Kalter Krieg im Radio: "Der Laubfrosch hat die Farbe gewechselt"

© von Frank Olbert © Frankfurter Allgemeine Zeitung; vom 31.01.2001 / 26 S. 59

Der Laubfrosch, keine Frage, trägt die Farbe des Laubs: Grünlich-braun oder bräunlich-grün und ein wenig rötlich mag er auch sein. Wenn so ein Laubfrosch die Farbe wechselt, dann liegt dies daran, daß das Laub die Farbe wechselt. So ein Frosch und das Laub, sie bilden nämlich in gewisser Weise eine Einheit, die eine perfekte Tarnung bildet - womit wir schon beim Militär wären: Jeder wehrtaugliche Mitbürger weiß schließlich, sofern er nicht mildtätig Zivildienst tat, um die frappierende Wirkung grünlich-brauner Tarnanzüge und einiger belaubter Zweige am Helm. John Lennon hat in diesem Aufzug einen Krieg gewonnen.

Die Durchsagen des "Deutschen Freiheitssenders 904" waren mitunter ein Rätsel. Was hatte es zu bedeuten, wenn gemeldet wurde, der Laubfrosch habe die Farbe gewechselt? War das gut oder schlecht, und was für eine Art Laubfrosch war überhaupt gemeint - ein östlich-kommunistischer oder ein westlichkapitalistischer? In jedem Fall waren solche Durchsagen von der Sprache, wie sie der Kalte Krieger liebte: Sie klang, als entstamme sie geradewegs einem Roman von John Le Carrd und als müsse der Spion, der seine Durchsagen in der Kälte formulierte, gleich wieder im Nebel deutsch-deutscher Geschichte verschwinden.

Der Sender "904" ging im August des Jahres 1956 von einem unbekannten Ort in Ost-Berlin aus auf Sendung. Vier Jahre später erhielt er Verstärkung und Schützenhilfe durch den "Deutschen Soldatensender 935", der auf kurzen Wellen gegen die Bundeswehr agitierte. Beide Stationen funkten aus dem Halbschatten heraus. Von der DDR finanziert, waren sie geheime Propagandainstrumente, die dem Klassenfeind zersetzende Botschaften ins Ohr flüstern sollten - Piratensender im staatlichen Auftrag. Sie schrieben die Geschichte des Kriegs im Äther fort, die bereits in der Zeit des Nationalsozialismus begonnen hatte.

Schon damals entbrannte im Radio ein Kampf um Worte und Argumente, um die richtige Ideologie und den rechten Weg zu ihrer Erfüllung. Kommunisten stritten gegen das Lügengebäude der Goebbelsschen Propaganda, und das nicht selten, indem sie selber manches Gespinst in die Welt setzten. Berühmt wurde indes eine Stimme, die den Deutschen von England aus ins Gewissen sprach: Über den Auslandsdienst der BBC meldete sich Thomas Mann, der die Barbarei der Diktatur anprangerte. Seine Ansprachen machten der Welt darüber hinaus deutlich, daß die deutsche Sprache nicht allein im Duktus einer Hitler-Rede gebellt, sondern wahrlich und wahrhaftig auch von einer Stimme der Kultur formuliert werden konnte.

Die Stimmen, die die Deutschen von 1956 an auf den beiden Sendern "904" und "935" vernehmen konnten, wenn sie die entsprechenden Frequenzen wählten, besaßen indes einen oft eifernden Klang - das Gedröhne des Anklägers, der sich im Besitz einer Wahrheit wähnt, die er aller Welt und am besten denen, die sie nicht hören wollen, um die Ohren schlagen muß. In einem vom Deutschlandradio Berlin produzierten Feature waren diese Stimmen in der vergangenen Sonntagnacht bereits zu hören - die Sender SFB, ORB und MDR strahlen den Beitrag "Der Laubfrosch hat die Farbe gewechselt" von Angelika Perl und Peter Kainz am heutigen Mittwoch aus.

Den Autoren ist es gelungen, die Stimmen, die einst aus dem Verborgenen heraus erklangen, aus dem Versteck herauszulocken. Erstmals berichten Redakteure, Techniker und Sprecher des "Freiheits"- und des "Soldatensenders" öffentlich von ihrer Arbeit, die stets der Hauch des Abenteuers und der subversiven Gefahr umwehte - abgesehen davon, daß technische Bedingungen und organisatorische Probleme in der Tat abenteuerlich waren. In der Mitte der sechziger Jahre, als der Kalte Krieg am kältesten war, hatten die beiden Sender ihre größte Wirkung, und zwar durchaus nicht nur als Propagandamittel, sondern als veritables Diskussionsforum: In einer Zeit, in der die offiziellen Medien wie die Auslandssender der Bundesrepublik und der DDR vehement gegeneinander ansendeten, öffneten sich im Programm der Geheimsender geheime, unterirdische Kanäle, durch die Dialoge zwischen Ost und West möglich wurden.

Tausende von Zuschriften gingen damals aus beiden Teilen Deutschlands ein - und legen zu einem großen Teil bis heute Zeugnis davon ab, daß eine Mauer überwunden werden kann, erst recht im Äther.

Erstellt am 21-06-2001Zuletzt geändert am 22-06-2001