Nach der Zeit der Lieder - ein Abgesang, der keiner werden will

Diese Überschrift war erst einmal sehr global gemeint. Darunter sollte ein weiterer Befindlichkeitstext stehen. Nun ist daraus eine ganz konkrete Angelegenheit geworden, denn Barbara Thalheim wird nicht in Boltenhagen sein. Seit einigen Wochen weiß sie von ihrem schweren Krebsleiden. Chemotherapien haben es unübergehbar deutlich gemacht, daß Wichtungen im Leben nun rigoros und klar sein müssen. Und so verstehe man auch, daß sie nun die Lieder, die sich in den letzten Jahren der Bühnenabstinenz in ihr angesammelt haben, doch noch zu den Leuten in die größeren Säle tragen möchte - wenn sie denn kann. So soll sie es tun.

Hier nun das Interview, das sie dem ND gab.

"BARBARA THALHEIM, bis 1995 16 CDs und 20 Programme. Dann der Schlußstrich. Nun aber "20 Neue Lieder": Fazit eines mißlungenen Schweigens. Am 18. November beginnt die Sängerin im Kaisersaal Erfurt ihre neue Tournee. Im ND-Interview spricht sie über Lust und Leid und List.

Barbara Thalheim im November 1995.- ein emotional hochwogender Abschied von der Bühne: "25 Jahre "ieder - Abgesang". Nun die künstlerische Rückkehr. Das lehrt uns: Trau keinem öffentlichen Menschen, wenn er dem Publikum Abschiedstränen entlockt.

Nein, es lehrt was anderes: Leben funktioniert nicht immer so, wie man es für sich selbst plant.

ND: Ein Beigeschmack von Koketterie bleibt.

B.T.: Meinetwegen. Kokett sind wir alle in bestimmten Momenten. Nein, mein Abschied war ernst gemeint. Ich wollte meinen Frieden machen mit diesem Land. Von nun an angepaßter leben.

ND: Sie ertrugen die Art Öffentlichkeit nicht, die Ihnen um die Ohren gehauen wurde.

B.T.: Meist hagelte es Unterstellungen: nichts dazugelernt, Agitprop, Oktoberklub-Diktion. Aber auch generell das, was man gemeinhin in der Bundesrepublik als Öffentlichkeit bezeichnet, hat mich mürbe gemacht.

ND: Noch anders gesagt: Der freie Markt nahm Ihnen das Publikum.

B.T.: Eine Zeit lang war das Publikum weg, stimmt. Aber dann war es ja wieder da, wenn auch nicht mehr in den großen Sälen und nicht mehr in alter Zusammensetzung.

ND: Wer waren die, die wiederkamen?

B.T.: Ich glaube, diejenigen, die in 40 Jahren DDR gelernt hatten, das Wort Kunst mit dem klebrigen Wort Anspruch zu verbinden. Nach dem Motto: Was hat sie zu sagen über uns? Aber mein Rückzug hatte auch den Grund, daß ich die neuen/alten Veranstaltungsorte im Osten, diese rekonstruierten Kulturhäuser, ästhetisch nur schwer aushielt. Den Kitsch der verbluesten Kulturhäuser zu DDR-Zeiten empfand ich als vorübergehend, gegen den konnte man ansingen - der Kitsch der nunmehr marmorierten Stadthallen ist endgültig. Damit muß man sich irgendwie arrangieren, und das geht viel besser mit Volksmusik, nicht aber mit Chansons.

ND: Seelische Verletzungen, Trennung von Fritz Jochen Kopka, gescheiterter Versuch als "Kulturtante" in einem brandenburgischen Dorf, geöffnete Stasiakte, Arbeit für die "Schaustelle Berlin" mit lauter Handy-Wessis - was erfuhren Sie in den letzten Jahren über sich selbst?

B.T.: Daß man sich verschleißt, wenn man sich gegen Dinge wehrt, die nicht zu ändern sind. Ich habe den Wert des Umwegs begriffen - und daß man Hürden annehmen muß. Und: daß in Zeiten wie diesen nichts über gute Freunde geht.

ND: Der Wert des Umwegs? Könnte darin der "Gruß nach vorn" bestehen, den sich Günter Gaus von möglichen neuen Liedern der Thalheim wünschte?

B.T.: "Ich atme die Welt ein und als Lied wieder aus, das macht mich allmächtig und mal klein wie 'ne Laus ..." heißt es in einem der neuen Lieder, die übrigens gemeinsam mit Leo Kettler und Jean Pacalet entstanden. Vielleicht bin ich devot geworden gegenüber Momenten, die nur Freude bereiten. Ich hatte wohl zuviel davon in meinem ersten Leben.

ND: Klingt fast gläubig.

B.T.: Mein Freund Martin Bartels, Pfarrer auf Usedom, hat nach dem Hören der neuen CD scherzhaft gesagt, ich sei fromm geworden. Ich glaube nicht an Gott, aber ich glaube daran, an etwas glauben zu müssen. Sonst geht man ja kaputt.

ND: Woran soll man denn noch glauben?

B.T.: Naja, wenn man sich die tollen Events in unserem Lande anschaut - "Wir küren den schönsten Arsch Deutschlands!" oder "Big-Lady-Schlammcatchen" -, dann stellt sich diese Frage. Dagegen anzuwüten, habe ich mir abgewöhnt. Ich suche die Inseln, wo die Leute noch Bücher lesen und Fragen an das Leben stellen.

ND: Merkwürdig, daß aus so romantisch gedämpftem Zynismus 20 neue Lieder entstanden.

B.T.: Ich nehme ja meine Ansprüche nicht zurück, ich gehe nur anders mit ihnen um. Vielleicht melancholischer.

ND: Melancholie oder Nostalgie?

B.T.: Melancholie! Das ist eine mögliche Form, auf gelebtes Leben zurückzublicken. Ohne ständiges Schuldbekenntnis. Ohne Rechtfertigungszwang. Ich möchte mich meiner Emotionen nicht schämen müssen, wenn ich mich öffentlich erinnere. Bei Künstlerkollegen aus dem Westen erlebe ich häufig, daß Erinnerung im Sarkasmus endet: Ach, wie blöd man war, daß man Ideale hatte! Nee, das ist nicht mein Ding. Trauer über die Realität empfinde ich als Trauer, nicht als tollen Gag.

ND: Sie müssen tieffallen, um aufstehen zu können?

B.T.: Offenbar. Die Welt, so wie sie ist, tut weh. Und nur wenn man das wirklich begreift, kommt die Lust, sich auf sie einzulassen.

ND: Im Gegensatz zur DDR-Realität läßt sich dieser Schmerz an der Welt leichter ertragen, wenn man mit seinen Depressionen für eine schöne Weile nach Paris fliehen kann.

B.T.: Was ich 1993 gemacht habe, hätte ich gern mit 18 gemacht. Auch das ist so eine Erkenntnis für mich als 50jährige DDR-Pflanze: alles ein bißchen zu spät. Zu spät fürs Begreifen der neuen Welt, zu spät für Sprachen, zu spät, um alle Provinzialitäten abzuschütteln.

ND: Das Provinzielle, das Verkorkste, das sich nicht Fügende - man muß es doch verteidigen, gegen alles Glatte und allzeit Flexible.

B.T.: Die Provinz in uns hat leider nur Charme, wenn man sich mit Leuten trifft, die sie ebenfalls erfahren haben. Bei allen anderen geht eine Wand runter. Die Frage, wer sich in diesem Deutschland wem anpaßt, ist vom Geld entschieden worden. Mein Gott, wenn ich mir vergegenwärtige, wie manche Theater-Intendanten sich an Wachstuch-Kantinentischen heute noch als Ossis outen: als würden sie einen Mord gestehen. Dieses Stigma: Ich bin Ost, also bin ich nichts! - wann hört das endlich auf? War es Cohn-Bendit, der die Formulierung von der Verostung des Westens gebrauchte? Davon sind wir weit entfernt, aber nach den letzten Wahlen ein kleines Stück näher dran.

ND: Bei der "Schaustelle Berlin" akquirierten Sie Kleinkünstler - bestand da der Schmerz an der Welt auch darin, daß Sie plötzlich niemand kannte?

B.T.: Darunter, daß mich von meinen Arbeitgebern aus Westberlin keiner kannte, habe ich weniger gelitten. Mehr darunter, daß ich die kennenlernen mußte.

ND: Sie mußten?

B.T.: Ganz einfach, um zu überleben.

ND: Künstlerbetreuung macht Ihnen Spaß?

B.T.: Ja. Leider fällt es mir schwer, Distanz zu bewahren. Ich liefere mich aus. Was als Vermittlung anfängt, endet beim Be-sorgen einer Waschmaschine.

ND: Es ist die Sucht, gebraucht und geliebt zu werden?

B.T.: Ja. Aber die Kraft, die ich investiere, ist meistens so groß wie das Mißverständnis, das ich nicht selten auslöse. Das läuft immer so. Lust an der Knäuelbildung, Lust auf viele Menschen, geradezu Kollektivsucht - und dann schmerzvolles Lösen. Also: sich in Zuneigung finden und in Enttäuschung trennen, manchmal sogar Haß. Mit diesem "Alles oder nichts" baue ich unter Wessis regelmäßig eine Bauchlandung, Wahrung von Distanz ist ein wesentliches Moment unter Geschäftspartnern dort.

ND: Sind Sie seitdem vorsichtiger, Leute an sich heranzulassen?

B.T.: Ja, Und nein: Jetzt gehe ich erstmal wieder auf die Bühne. Vieles, was ich in diesen letzten drei Jahren erlebt habe, mache ich mit Liedern öffentlich, Das wird mir helfen, es zu verarbeiten. Vielleicht sagen Zuhörer: "Mensch, das haben wir auch erlebt." Oder: "Woher weiß die das von mir?" Ich kriege es einfach nicht hin, mit dem, was ich denke und mache, hinterm Berg zu halten. Manchmal wünschte ich es mir, sehr sogar.

ND: Aber es siegt die Lust am öffentlichen Leiden.

B.T.: Das Lustmoment im Leid gebe ich zu. Andererseits habe ich mich für sehr viel zu schämen in meinem Leben. Und um es gleich zu sagen, für schlimmere Dinge als für meine Stasi-Akten.

ND: Sollten die Akten geöffnet bleiben?

B.T.: Ich habe meine bis zum Erbrechen gelesen, die sogenannte Täter- und die sogenannte Opferakte. Meine sogenannten Opfer haben mich entlastet, mit meinen sogenannten Tätern war und bin ich befreundet. Diese Wahrheit hat aber keinen wirklich interessiert. Ich denke, der Umgang mit den Akten muß grundsätzlich anders sein. Es müßte verhindert werden, daß sie Erpressungsinstrumente sein dürfen, mit denen Menschen stigmatisiert werden können.

ND: Das hört man auffällig oft von denen, die Täter waren. Müssen diese nicht einfach, so tragisch es im einzelnen auch sein mag, die mögliche Ungerechtigkeit der Opfer ertragen? Ausgewogenheit des Urteils darf eine Hoffnung der Täter sein, keine Forderung.

B.T.: Ja, vielleicht ist es eine nachträgliche Gerechtigkeit, daß man das aushalten muß, 20 Jahre danach. Aber ich hatte zum Beispiel keine Chance, publik zu machen, daß ich selbst es ja war, die aus Gründen politischer Hygiene meine Täter-Akte, wenn auch mit einem Trick, öffentlich machte. Wenn ich dem glaube, was über mich aufgeschrieben wurde, kann ich mein gelebtes Leben wegschmeißen - glaube ich meinem Leben, werden die Akten lächerlich.

ND: Das ist Ihre Erfahrung mit Ihren Akten.

B.T.: Andere haben andere Erfahrungen gemacht, ja, aber sie sollen die meinen bitte auch zulassen. Diese Einmischung von Saubermännern, die meinen, über uns DDR-Leute Recht zu sprechen - die ekelt mich an. Alle sind sich im Klaren darüber, was das MFS für eine Institution war, aber im Nachhinein wird dem aufgeschriebenen Scheiß ein größerer Realitätsgehalt beigemessen als Aussagen sogenannter Betroffener. Das ist paradox.

ND: Verstehen Sie Bürgerrechtler, die heute in der CDU sind?

B.T.: Eigentlich nicht. Aber ich habe die Karrieristen der SED ertragen, warum soll es in anderen Parteien keine geben? Ich mag Menschen, die eine grundsätzlich andere Verteilung von. Haben und Sein nicht nur in Deutschland wollen. Und ich verstehe jene schlecht, die nur Dankbarkeits-Elogen darauf singen, daß sie jetzt in einer demokratischen, freien Gesellschaft angekommen sind.

ND: Vielleicht ist es Befreiung von Missionarischem, für das ein einzelner Mensch zu gering ist.

B.T: Na klar, wie schon mal gehabt: eine Gesellschaft von Mitläufern. Es ist Neid und Ekel zugleich, ich kann so nicht sein.

ND: Das ist ein Widerspruch zu dem, was Sie anfangs sagten.

B.T.: Finde ich nicht. Ich will meine Ansprüche nur mit weniger Kraftaufwand und ein bißchen mehr List zu realisieren versuchen.

ND: Ohne missionarischen Selbstauftrag.

B.T.: Für mich und meine Freunde und nicht gleich für die ganze Menschheit.

ND: Und mit weniger Kraftaufwand? Sie haben zwei schwere Operationen hinter sich, jetzt stehen Sie unter schwerstem Chemotherapiebeschuß.

B.T.: Zu den Erfahrungen der letzten Jahre sozusagen das Sahnehäubchen. Meine Ärzte fassen sich an den Kopf, wenn die hören, was ich im Augenblick mache. Aber jeder muß sein Reservat fürs Zurückfinden ins Leben selber finden.

ND: Sie sagen: Wenn der Körper zuviel Kraft braucht, um die Psyche halbwegs'zu regulieren, fehlt Kraft für anderes?

B.T.: Das Immunsystem eines Körpers entgleist oder kollabiert, wenn er so von der Psyche besetzt ist, daß für die Physis kein Platz mehr bleibt. Wie heißt es? Meine Sorgen fressen mich auf.

ND: Und im Moment tun sie's nicht?

B.T.: Was der Mensch denkt, bestimmt sein Schicksal. Und im Moment denke ich: Was glücklich macht, ist wichtiger als das, was gesund macht. Aber vielleicht macht ja gerade das gesund, was glücklich macht ...

 

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Erstellt am 25.11.1998HTML-Fassung im April 2002Zuletzt geändert am 20.06.2004