Auf dieser Seite soll ein Experiment besprochen werden, welches hoffentlich eine Fortsetzung findet. Am 11. Februar 2006 fand sie statt, die erste komplette Spezialbeschreibung eines Bundesliga-Handballspiels für blinde Hallenbesucher oder war es nur eine ganz normale Hörfunkreportage, freilich extra für fünf Besucher der Campushalle, welche die Schilderungen des Geschehens via Funkkopfhörer empfingen? Stefan Brasse und Norman Nawe von der Sportredaktion der NDR1 Welle Nord" hatten sich dieser Herausforderung gestellt. Vor 6500 Zuschauern begegneten sich in der auch "Hölle Nord" genannten Kampushalle die heimische SG Flensburg-Handewitt (Tabellenzweiter) und die TuS Neddelstedt-Lübbecke (an diesem Tag auf Platz 11 der Tabelle).
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NDr-Sportreporter Stefan Brasse hatte die Idee. Er kontaktierte den Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein, wo er natürlich nicht erst lange argumentieren musste, denn die Ermöglichung der Teilnahme blinder Menschen am öffentlichen Leben ist ein Hauptanliegen dieser Selbsthilfeorganisation.
Die Leitung des NDR-Landesfunkhauses erklärte sich einverstanden, für dieses eine Experiment die technischen und personellen Kapazitäten bereit zu stellen.
Was hier für den Handball erstmals versucht werden sollte, gibt es schon in mehreren Fußballarenen. Das begann 1999 in Leverkusen. Es wurde Tradition bei den Heimspielen des Hamburger SV, wird angeboten bei Herta BSC und in München. Zur Fußball-WM werden die Spezialbeschreibungen für Blinde zum festen Angebot gehören. Aktiv hinter all diesen Möglichkeiten steht der bundesweit agierende Fanclub blinder Fußballenthusiasten "Sehhunde".
"Ich habe ein ganz tolles Handballspiel gehört" titelte die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung (SH:Z) ihren Bericht in der Ausgabe vom 14.02.2006. Holger Petersen beschreibt in seinem Beitrag, was er erlebt hat, so:
"Auf dem Spielfeld liefern sich die SG Flensburg-Handewitt und der TuS N- Lübbecke ein erbittertes Gefecht um zwei Bundesligapunkte. Was macht Lackovic? Gebannt blicken 6300 Fans Richtung gegnerisches Tor, manche stehen sogar auf. Fünf Besucher allerdings verharren regungslos, verziehen keine Miene, zeigen keinerlei Emotion. Was für Sportmuffel? Was für Ignoranten? Oder gar Handballhasser? Von wegen. Diese Reaktion ist vielmehr auf den Umstand zurückzuführen, dass das Quintett nichts von dem bunten Treiben da unten auf dem Parkett sieht. Totale Hallenfinsternis."
Der Artikelschreiber zitiert die blinde Annegret Walter:
"'Live ist live', sagt sie und stellt den großen Unterschied zu den gewöhnlichen Fernseh- oder Radioberichten heraus. 'Das kann man überhaupt nicht vergleichen, das hier ist etwas völlig anderes. Hier gehöre ich dazu (...)'"
In der Mailing-Liste hat unsere Landesvorsitzende ihre Beziehung zum Handball noch etwas deutlicher ausgeführt als dies in der Zeitung zum Ausdruck kam.
"Es war ein großartiges Erlebnis. In der Zeit, als meine Kinder noch zu Hause waren und wöchentlich zum Training gingen und am Wochenende ein Spiel hatten, konnte ich mir das Geschehen auf dem Handballfeld gar nicht vorstellen. So weit konnte ich nun eben nicht gucken und meine Lieben hatten immer keine Lust, mir das Spiel zu erzählen. ... Darum blieb ich zu Hause. Heute weiß ich, dass die Beschreibung des Handballspieles auch ganz anders sein muß wie z.B. ein Fußballspiel. Der Verlauf ist einfach viel schneller. In der ersten Halbzeit stellte ich mir immer vor, wie wie das Spielfeld wohl aussieht und in der Halbzeit kam dann auch die wunderbare Beschreibung über Spielfeld und Spielregeln. Einfach genial! Ja und die zweite Halbzeit verlief wie im Fluge. Das Spiel war so spannend und wir hatten bis zur letzten Minute das wunderbare Gefühl, einfach nur dabei gewesen zu sein. Dass ich erst um 0.30 Uhr wieder zu Hause war, war überhaupt nicht schlimm."
Ob es in der Handballregion zwischen Hamburg, Kiel und Flensburg genügend blinde Sportenthusiasten gibt, um die Spezialkommentierung fortzuführen? Zwei Stimmen aus der Mailingliste lassen es hoffen. Pina aus Pinneberg:
"... sollte es weitere angebote geben, dann werde ich bestimmt mal einem Spiel beiwohnen. Zumal ich schon seit langem Intresse habe, einmal ein Handballspiel live mitzuerleben. Und so, wie annegret das live dabei sein, das Spiel in der Masse mitzuerleben, beschrieben hat, geht's mir beim Fußball. Ich bin gespannt, was sich daraus entwickelt."
Und Petra schrieb:
"Da können wir in Kiel wirklich hoffen, dass der THW Kiel auch in der Ostseehalle so etwas machen wird. Ich kenne Handballspiele noch aus meiner sehenden Zeit und es war immer echter "Wahnsinn" zu sehen und hören wie heiß es dort zu ging. So ein Spiel live mitzuverfolgen, ist einfach faszinierend. Ich meine, wenn uns diese Art der Berichterstattung geboten wird, sollten und müssen wir daran teilnehmen. Wenn du also weißt, wann Kiel für uns diese Live-Audiodeskription tätigt, lass es mich wissen. Ich möchte dann zwei Karten!!!"
Bis auf Weiteres geben wir allen Interessenten die Gelegenheit, sich die Schilderung von Stefan Brasse und Norman Nawe in voller Länge anzuhören.
Die blinden Besucher bekamen etwas geboten, was den übrigen Zuschauern so nicht zu Teil wurde und was ein eingefuchster Handballfan wohl auch nicht braucht: eine Einführung in die Gepflogenheiten. Dafür einige kleine Beispiele. Im Ausschnitt 1 schildert Stefan Brasse einen wichtigen Teil des Zeremoniells in der "Hölle Nord". Im Rahmen der Vorstellung der Mannschaft wird das Trikot mit der Startnummer 8 eingeführt.
Eine erklärungswürdige Besonderheit und eine Verschnaufpause für Hintergrundinformationen ist die "Auszeit".
Da Handballkommentierung für Blinde etwas Neues ist, hier noch so eine Erläuterung aus der Rubrik "wissenswert".
Selbstverständlich sollte im Mittelpunkt der Schilderung das stehen, was die sehenden Zuschauer genau in diesem Moment fesselt. Das klingt dann so, wie im folgenden Ausschnitt:
Zum Spielgeschehen gehört freilich mehr. Im nächsten Ausschnitt spielt das unumgängliche Feudeln eine Rolle und ein Blick zur Trainerbank.
Können die herausragenden Momente, die sich als Bilder in den Köpfen der Zuschauer festsetzen, worüber sie sich dann auch austauschen - können diese Bilder auch Blinden vermittelt werden? Eine Schilderung wie diese mag das können.
Obwohl es das im Handball noch nicht gegeben hat, die Spielschilderung für Blinde muss nicht neu erfunden werden. Hier muss auf die Erfahrungen des bundesweit aktiven Fußballfanclubs "Sehhunde" zurückgegriffen werden. Nina Schweppe hat dieses Knowhow in der Mailingliste des BSVSH dargelegt. Mit ihrer freundlichen Erlaubnis zitiere ich das hier. Zunächst erklärt Nina, warum es nötig ist, an die Spielberichterstattung für Blinde mit höchsten Ansprüchen heran zu gehen.
"Mag sein, dass die Sehhunde besonders verwöhnt sind. Es hat sich aber ausgezahlt, anspruchsvoll zu sein. Man muss ja bedenken, dass der Kommentar für uns an der Spielstätte die einzige Möglichkeit ist, das Spiel wahrzunehmen. Ein Kommentar soll uns ein Bild des Spiels vermitteln, das uns hinterher auch ermöglicht, mit anderen fundiert darüber zu diskutieren."
Nina Schweppe hat sich auf Bitten des Autors dieser Seite einen Teil der Reportage angehört. Sie bezieht dazu einen streitbaren Standpunkt:
"Es war eine reportage, die ich als Radiohörer erwartet hätte. Es wurde ohne Punkt und Komma geredet und nachträglich wurden offenbar alle wichtigen Szenen nachkommentiert. Wenn ich zu Hause sitze und auf das Radio angewiesen bin, ist das auch in Ordnung. Wenn ich aber in der Arena Wäre, dann ist es für mich unabdingbar, dass sich der Kommentar auf Ballhöhe befindet. Wenn wir nun unterstellen, dass Handball ein sehr schneller Sport ist, dann frage ich mich, warum Zeit ist, zu sagen wie groß und schwer ein Spieler ist, wie hoch er springen kann, oder wie seine Frisur aussieht. Das sind alles Dinge, die ich, wenn ich im Stadion bin, nicht wissen möchte. Sonst übrigens auch nur selten."
Petra aus Kiel, die Nina grundsätzlich zustimmt, möchte das zuletzt angesprochene Argument für sich so nicht gelten lassen.
"Ich persönlich finde es auch ganz nett, wenn mir die Spieler beschrieben werden, damit man sich eine Vorstellung machen kann, wenn jemand mit einer Größe, sagen wir von 2,00 m und einem ungefären Gewicht von 95 kg auf den Torwart zugeschossen kommt."
Wir sehen, dass die Ansprüche durchaus differenziert sind. Darüber müssen die Kommentatoren und die Adressaten sich eben austauschen. Das Knowhow der "Sehhunde" jedenfalls gilt sicher auch im Handball. Dazu noch einmal Nina Schweppe.
"Wir haben für unsere Kommentatoren die 5 W-Fragen ätablieren können, und die meisten halten sich auch daran.
- Wo findet die derzeitige Spielsituation statt?
- Wer hat den Ball?
- Was tun die Spieler?
- Warum tun sie es?
- Was wird daraus?"
Und dies hier können wir sicher als ein hoffnungsvolles Fazit nehmen:
"Ich stehe leider nicht so auf Handball. Aber ich denke, dass ich auch im Namen von meiner Kollegin Regina spreche, wenn ich sage, dass wir sicher mit gutem Rat zur Verfügung stehen. Es ist aber wichtig, dass betroffene Fans selbst ihre Bedarfe anmelden. Und wenn diese dann bei uns in die Lehre möchten..., immer zu."
Also, es muss sich ein kleiner Stamm blinder Handballinteressenten finden, der mit den jeweiligen Clubs seinen Bedarf bespricht. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Schleswig-Holstein wird dann bei der Umsetzung bestimmt gern helfen.
| Erstellt am 20.02.2006 | Zuletzt geändert am 28.02.2006 | |
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