Festakt im Theater Greifswald während der Gratulation, am 29. April 2000p>© Foto: Jürgen Peters, Greifswald, 05/2000
Aufgenommen im Theater Greifswald, 29.4.2000

Manuskript

Autor: Jürgen Trinkus
Redaktion: Kirche, Religion und Gesellschaft
Redakteur: Dr. Norbert Sommer
Aufnahmedatum -/zeit: O-Töne 1993-1994
Gesendet Saarländischer Rundfunk, April 1994

(O-Ton) Hans-Georg Krischak: "Die Weihe der Jugend erhalten ..." (ausblenden während der Namensverlesung!)

Ein Ritual wird vollzogen im voll besetzten Theater der Hansestadt Greifswald und auch anderswo im Osten Deutschlands. Eine feierliche Rede, Rezitationen und Musik bilden den Rahmen für den Weiheakt.

Weihe der Jugend - das klingt kultisch, und eine bedeutungsschwere Atmosphäre bemächtigt sich in diesem Moment sogar der 14-jährigen Mädchen und Jungen, die sich eben noch respektlose Bemerkungen über die Festrednerin und die Sängerin zugeraunt hatten. Sie sind aufgerufen, sich unter den Blicken ihrer Eltern und Anverwandten auf der Bühne zu einer Reihe zu formieren. Videokameras laufen. Ein Fotograf hält den Augenblick für die Familienchroniken fest. Die Festrednerin schüttelt Hände, der Regisseur der Veranstaltung überreicht das Buch "Deutschland - so schön ist unser Land", und Blumenkinder drücken bunte Sträuße in die zitternden Hände der Geweihten. Musik erklingt, und die nächste Gruppe wird auf die Bühne gerufen. Jede Formation bekommt einen Spruch mit auf den Weg.

O-Ton) Hans-Georg Krischak: "Von Theodor Fontane: Alles Alte, so wie es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben.' (Beifall, ausgeblendet!)

In ihrer Geschichte war die Jugendweihe immer auf die christlichen Kirchen bezogen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie von Freidenkern als Ersatzhandlung zu Konfirmation und Kommunion entwickelt für Heranwachsende, die atheistisch erzogen wurden.

Vor allem in der sozialistisch-kommunistischen Arbeiterbewegung, die den Klerus allzu oft als konservativ und obrigkeitsverbunden erlebte, wurde der atheistische Initialisierungsbrauch gepflegt. Mit 14 Jahren wurden die Heranwachsenden so in den Kreis der Erwachsenen, der Klassengenossen aufgenommen. Siegfried Lange, der als Probst im Unruhestand in Stralsund lebt, erinnert sich:

(O-Ton) Siegfried Lange: Man kann ja wirklich davon sprechen von einer über hundertjährigen Tradition der Jugendweihe. Jugendweihe hat es immer gegeben. Ich hab auch deutliche Erinnerungen aus meiner Kindheit daran. Ich bin nämlich aufgewachsen in Berlin, im Bezirk Wedding, und das war ja ein ausgesprochener Arbeiterbezirk mit sehr vielen Kommunisten. Da spielte die Jugendweihe eine Rolle. Da wußte man, an dem und dem Sonntag ist Jugendweihe, und die, die nicht zur Kirche gehören, die gehen eben zur Jugendweihe. Das war klar. Und dann kam die Nazizeit, mit der das unterbrochen wurde. Da war diese Jugendweihe unerwünscht. Später kamen etwas kümmerliche Versuche, ja, etwas anderes an die Stelle zu setzen, um ein Gegengewicht gegen Kirche zu haben. Aber ganz konsequent aufgenommen ist das dann ja in der ehemaligen DDR erst dann seit 1955.

Die DDR hat sich dieser Tradition mit der ihr eigenen Vehemenz angenommen. Bald hatten die Familien einen weltlichen Kanon von Feierlichkeiten, der von der sozialistischen Namensweihe als Alternative zur Taufe über die feierliche Schuleinführung bis hin zur Jugendweihe reichte. Die privaten Bedürfnisse der Menschen nach feierlichen Akzenten, mit denen verwandtschaftliche Beziehungen lebendig gehalten werden, fand Platz in den zum Teil steifen, oft hohlen Staatsritualen. Mit dem Jugendweihegelöbnis, dem Treueschwur auf das sozialistische Vaterland, war eine große Absicht auf Seiten der SED, doch nur eine kleine Wirkung auf Seiten der Teilnehmer verbunden.

(O-Ton) Siegfried Lange: Ich hatte, so um 1955, 150 Konfirmanden und noch genauso viel Vorkonfirmanden. Das war reichlich viel; X Stunden in der Woche Konfirmandenunterricht, in viele Gruppen aufgeteilt. Und in meinem letzten Jahr in Weißensee, 1958, hatte ich 22 Konfirmanden. Das waren die, die gesagt hatten, 'Ja, wir wollen konfirmiert werden, wir gehen nicht zur Jugendweihe.' Das war für mich dann im Unterricht eine großartige Sache. Wir saßen alle um einen Tisch herum und jeder kam zu Wort, was bei den großen Gruppen so ja gar nicht möglich gewesen war.

Man sollte meinen, mit dem Ende der DDR hätte doch alles wieder ins alte Lot kommen müssen, doch es geschah Unerwartetes. Die Jugendweihe erlebte nach einem kurzen "Wendeknick" eine Renaissance. Für 1993 waren in Mecklenburg-Vorpommern rund 9000 Schüler der achten Klassen zur Jugendweihe angemeldet, während 3500 Gleichaltrige zur Konfirmation oder Kommunion gingen. 1994 sollen es mehr als 10 000 Jugendweihlinge werden. Die 80 000 Jugendweiheteilnehmer des Jahres 93 in allen neuen Bundesländern entsprechen ungefähr 40% der Schüler der angesprochenen Altersgruppe.

Wie sehr die vormaligen DDR-Bürger entschlossen waren, aus dem Scherbenhaufen der Zeit der deutschen Wiedervereinigung Werte und Traditionen der eigenen Biographie zu retten, wurde im März 1993 deutlich, als in den neuen Bundesländern ein Kulturstreit aufflammte, bei dem es nur vordergründig um die Jugendweihe ging.

Mit einem Grußwort an die XIII. Synode der Landeskirche Mecklenburgs hatte die Kultusministerin Steffie Schnoor (CDU) Sturm geerntet im nordöstlichsten Bundesland. Die Ministerin, die sich öfter mit Grußworten an Synodale wendet, berichtete, daß sie die Schulräte angewiesen habe, Werbeveranstaltungen für die Jugendweihe zu verhindern, daß sie Landräte und Oberbürgermeister gebeten habe, die Durchführung der Jugendweihe in Schulgebäuden nicht zu genehmigen, und wörtlich sagte sie: "Im übrigen wende ich mich an die beiden großen Sponsoren der Jugendweihe Bertelsmann und Schwäbisch Hall mit der Bitte, das Engagement an dieser Stelle zu überdenken."

Auf der gleichen Linie hatte sich kurz zuvor schon der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Bistum Berlin positioniert. Der BDKJ-Diözesanvorsitzende Michael Wedell wirft der Jugendweihe vor, daß sie "an ein autoritäres und antidemokratisches Wertesystem" anknüpfe.

Die Ministerin Schnoor mußte sich noch Tage später rechtfertigen.

(O-Ton) Steffie Schnoor: Nochmal zu dem von mir nicht ausgesprochenen Verbot der Jugendweihe: 1. gibt es keine rechtliche Grundlage dafür, etwas zu verbieten, was ein privater Anbieter tut. 2. wäre es nie in meinem Sinne, etwas derartiges zu verbieten, denn es ist ein Stück der Freiheit des Einzelnen, daß der Einzelne darüber entscheidet, was er tut und was er nicht tut. Und die Entscheidung der Familie ist, das Kind zur Jugendweihe anzumelden oder es nicht zu tun. Dies geht mich nichts an, und hier werde ich mich auch nie einmischen.

Wesentlich kooperativer ist der Senator für Jugend und Familie in Berlin. Thomas Krüger (knapp 35 Jahre alt) war vor der Wende als Vikar in Ost-Berlin und Eisenach unter anderem in der "Kirche von unten" aktiv. Im Oktober 1989 hatte er die Sozialdemokratische Partei in der DDR mitgegründet. Als Stadtrat für Inneres im letzten Ostberliner Magistrat und zeitweilig amtierender Oberbürgermeister von Ostberlin hat er sich durch kompromißloses Vorgehen gegen Stasi-Mitarbeiter hervorgetan. Nicht ohne einen parteipolitischen Seitenhieb kritisiert er monopolistische Neigungen in den Kirchen:

(O-Ton) Thomas Krüger: "Natürlich is es ein monopolistisches Verhalten und ich muß hier an dieser Stelle auch der regierenden Partei den Vorwurf machen, daß sie sehr unsensibel damit umgeht. Das ist im Grunde die Fortsetzung der alten Strategie mit andern Mitteln. Zu DDR-Zeiten ist das ja sozusagen auch monopolisiert gewesen. Man kann jetzt nicht ein Monopol durch das andere ablösen. Das halte ich auch für eine politische Dumm heit, weil, das führt bei den Leuten zu Unmut und die Leute werden sich deshalb sozusagen nicht auf die andere Seite hinwenden und sozusagen einfach mit wehenden Fahnen umschwenken. Und insofern, denke ich, muß man hier einfach auch ein Stück Wegbereitung betreiben als Politiker für diese freidenkerische Tradition. Man kann auch verschüttete, durch die DDR verschüttete Traditionen - und die freidenkerische Tradition is auch 'ne demokratische Tradition, nich mit dem Verweis auf einmal ideologischen Mißbrauch diese ganze Geschichte einfach versuchen zu verbannen aus der Gegenwart. Das geht einfach nicht. Und ich halte das auch für ein Stück intolerantes Verhalten, ja. Und die eigenen Interessen, die hier verfolgt werden, die werden sicherlich sich noch einmal bitter rächen, weil man mit dieser etwas härteren Linie, mit diesem Verbot meines Erachtens überhaupt nicht vorkommt.
Und die Kirchen drängen zur Zeit in die Schule. Sie wollen sich beteiligen am Religionsunterricht. Da bin ich übrigens ein ganz großer Befürworter. Das finde ich sehr wichtig. weil Religionsunterricht auch eine Vielzahl von Wissensvermittlung betreibt, auch von - ich sag mal - Erziehung betreibt. Die Grundwerte des menschlichen Miteinanders werden ja auch transportiert im Religionsunterricht, daß ich das eigentlich als 'ne Chance sehe für Kinder, die in der Schule da Angebote bekommen, Wissensvermittlung bekommen, daß sie eben diesen Religionsunterricht in der Schule jetzt haben können.
Aber, ich finde, daß mit diesem Einzug der Kirchen auch Sensibilität und Toleranz gegenüber anderen Traditionen da sein muß. Und dieses, finde ich, ist auch gegenüber den Freidenkern gerade notwendig.
Ich finde im Übrigen sollten die Freidenker, und das machen wir in Berlin zur Zeit, auch die Möglichkeit haben, an der Schule Wissensvermittlung zu betreiben. Das ist nich einfach, das politisch durchzusetzen, weil es stößt immer wieder auf Widerstände, aber ich finde, es gebietet das Toleranzgebot in unserer Gesellschaft.

Längst ist die Schule hineingezogen in den Wettstreit der weltanschaulichen Bekenntnisse. Soll sie geöffnet oder abgeschlossen werden gegen die religiösen und quasireligiösen Lehren? Thomas Krüger plädiert für Bescheidenheit der Kirchen und für eine weltanschaulich offene Schule.

Anders akzentuiert Bischof Eduard Berger von der Pommerschen Evangelischen Kkirche.

(O-Ton) Berger: daß unterschiedliche weltanschauliche und religiöse Kräfte in die Schule drängen - das ist ein ganz schwieriges Schulproblem. Die Schule ist ja in Deutschland fast durchweg in staatlicher Trägerschaft. Der Staat ist weltanschaulich nach seinem eigenen Verständnis neutral. Bildung und Erziehung sind aber nicht neutral, sondern sind immer überzeugungs- und normenorientiert. Und da tut sich ein ganz großes Dilemma auf. Ich bin der Überzeugung, daß der Staat als Kulturmonopolist, der er ist, wenn er das allgemeinbildende Schulwesen nahezu vollständig in seiner Hand hat, am Ende ist, und daß in der Tat - und da nicht nur Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern auch Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit haben sollen, Schulen in ihre freie Trägerschaft zu übernehmen. Dann wird es einen ganz gesunden Wettbewerb geben, und dann werden Eltern und Kinder entscheiden können, welcher Bildungs grundlagen und welchen Erziehungszielen sie sich zuwenden wollen. Die Mischung, die wir jetzt haben, die drängt in der Tat dazu zu sagen: Auch andere als christliche Kirchen und Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften haben das Recht, in der Schule für sich zu werben und wenn die Eltern das beanspruchen, ist der Staat verpflichtet, dafür geeignete Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.

Aufbrechung des staatlichen Monopols zugunsten von mehr Schulen in freier Trägerschaft - da hoffen die Kirchen mithalten zu können. Die Jugendweihe und ihr neuer Träger, der Verein für humanistische Jugendarbeit und Jugendweihe e. V. kommen als Mitbewerber schon wegen ihrer sehr begrenzten Zielsetzung nicht in Betracht. Für sie soll möglichst aber auch nicht die Möglichkeit uneingeschränkter Bewegungsfreiheit gelten.

(O-Ton) Eduard Berger: Ich persönlich wie auch die Pommersche Kirche und ich denke, daß das für die anderen Kirchen auch gilt, haben überhaupt nichts dagegen, daß die unterschiedlichen Anbieter im Bereich Weltanschauungsangebot ihre Vorschläge machen und die Menschen zu erreichen suchen. Wir haben aber hier in der ehemaligen DDR die Situation, daß eine zu sozialistischen Zeiten geprägte Lehrerschaft vorhanden ist, die nahezu, die jedenfalls in erheblichem Umfang der SED angehört hat, sich als Staatsfunktionäre verstanden haben und die nun fortsetzen - freilich mit der Behauptung, der weltanschauliche Hintergrund sei nun nicht mehr belangvoll, sie kämen nur Bedürfnissen der Kinder und Familien nach, die aber nun an der Schule, an der sie erst indoktrinierend tätig gewesen sind, nun still werbend weiter das Wasser auf die gleichen Mühlen zu leiten, auf die sie es vorher mit Druck - und das ist ja nun also doch umfangreich bekannt, daß die Werbung, sog. Werbung für die Jugendweihe nicht etwa ein freies Angebot gewesen ist, sondern ein mit den Fortkommenschancen, der Vergabe von Ausbildungsplätzen usw. eng gekoppeltes Treuebekenntnis hat - und diese Vorgeschichte, die is eben nicht leicht abzuschütteln, denn die Lehrer sind weithin die gleichen, und wer will da eigentlich glauben, daß sie ihre Weltanschauung vergessen hätten und das, was sie gelernt und vertreten und den Kindern auch vermittelt haben, und nun ginge es lediglich darum, daß sie wie andere auch hier demokratisch und frei Angebote unterbreiten.

Mit dem Vorwurf, sich für eine kommunistische Hinterlassenschaft instrumentalisieren zu lassen, war auch die SPD-Landtagsabgeordnete Gerlinde Schnell konfrontiert, weil sie Festreden zur Jugendweihe hält.

(O-Ton) Gerlinde Schnell: Ich war ja die einzige aus dem Landesparlament, die schon 91 gesprochen hat auf der Jugendweihe. Das ging so weit bis Diskussionen aus den eigenen Reihen, daß man einen ausschließen müßte. Man war da pauschal einfach an einer Verurteilung dran, ganz negativ das zu sehen und meinte, wer da hin geht, leiste Nachfolgearbeit für die SED, und ich hab's ganz anders gesehen, weil ich mich dagegen gewehrt habe, daß die Jugendlichen vielleicht noch alle in die Kirche gedrängt werden. Das muß 'ne alleinige Entscheidung sein.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in Mecklenburg-Vorpommern hat ein untypisches biographisches Verhältnis zur Jugendweihe.

(O-Ton) Gerlinde Schnell: Also, es is so, daß ich in einem Elternhaus aufgewachsen bin, wo man über alles sprechen und diskutieren konnte. Und die Jugendweihe fing ja 54 an. 56, wie ich die 8. Klasse verließ damals, ich ging zur Konfirmation, und mein Bruder, in derselben Klasse zur Schule gehend, besuchte die Jugendweihe. Wir haben uns also im Elternhaus immer so verhalten können, daß das, was man persönlich meinte, ganz ganz gleich, in welchem Alter man is, 'ne Toleranz bei den Eltern gefunden hat, 'ne Akzeptanz.
Wie der Weg nachher weitergehen wird, das entscheidet sich aus den eigenen Erfahrungen, auch die eigenen Entscheidungen. Denn mein Bruder, der damals die Jugendweihe hatte - weil man das immer als so DDR-typisch hinstellt, der wurde republikflüchtig, während ich, die ich die Konfirmation hatte, hier blieb. Also es gibt so viele Beispiele, daß man sich wehren muß, daß man meint, damit ist das ganze Leben schon in eine bestimmte Zwang geraten und eine bestimmte Richtung.

Auch Probst Lange teilt aus Erfahrung nicht die schematische Ansicht, daß einseitig die politisch verantwortlichen Staats- und Parteifunktionäre diese Entwicklung getragen hätten. Gesellschaftliches Wohlverhalten im Alltagsleben bedurfte zuletzt kaum noch eines Drucks "von oben".

(O-Ton) Siegfried Lange: Also, wie oft is mir gesagt worden: 'Wie gerne würden wir ja unsern Jungen konfirmieren lassen, aber das geht nun wirklich nich. Der is einer der besten Schüler in der Klasse. Aber wenn er zur Konfirmation geht und nicht zur Jugendweihe, dann kommt er bestimmt nich zum Studium, und das soll er doch.' Also, Jugendweihe - gibt gar nichts andres. Ich habe sehr deutlich dann denen gesagt, die sich in diesen Jahren dann vom Konfirmandenunterricht abmeldeten: `Wißt ihr, das bedeutet nun nicht, daß wir nichts mehr mit'nander zu tun haben. Ihr könnt jederzeit kommen.' Oder ein Einzelner kann jederzeit mich besuchen, wen er fragen hat, oder sonstwas.
Das ist in einigen, ganz wenigen Fällen dann später auch geschehen, aber im Grunde waren damit die Weichen gestellt. Die gingen zur Jugendweihe und hatten von da an mit Kirche nichts mehr zu tun; die gingen zur Konfirmation und hofften doch irgendwie doch auch voranzukommen.

Im Allgemeinen geht es den meisten, die sich für die Jugendweihe entscheiden, in geringem Maße um Welt- und Lebensbekenntnisse.

(O-Ton) Siegfried Lange: Aufs Ganze gesehen, ist das offensichtlich für Menschen heute kein Thema, Jugendweihe oder Konfirmation. Das wird übernommen von der Generation davor, und wenn die Generation davor konfirmiert worden ist, dann wird auch die jetzige konfirmiert, und wenn die Generation davor zur Jugendweihe gegangen ist, dann ist das ganz selbstverständlich, daß man auch zur Jugendweihe geht.

Auch Mütter von Jugendweihlingen äußern sich in diesem Sinne.

(O-Ton) Mütter von Jugendweihlingen 1993-1994 in Greifswald:
1. Ach nö, für die Kirche sind wir nich so.
2. Nö, also Konfirmation nich. Wir sind nich so, wir haben den Glauben nich.
3. Einmal, es is ne gute Tradition. Erstens sind wir nicht in der Kirche, und zweitens bin ich der Meinung, es war nicht alles schlecht, was es zu DDR-Zeiten gab, und die Jugendweihe oder die Vorbereitung zur Jugendweihe war auch eine gute Vorbereitung auf das Leben.

Auch wenn das heute in weit geringerem Umfang geschieht und die ganze Prozedur Gefahr läuft, sich auf einen bloßen Familienfeiertag zu reduzieren - der eigentlichen Jugendfeier gehen einige Bildungserlebnisse voraus, die sogenannten Jugendstunden, in denen beispielsweise eine Hebamme über Liebe, Sexualität, AIDS und Verhütungsmittel oder ein Polizeibeamter über Kriminalität und Gewaltvermeidung spricht. Die Themen werden von den Jugendlichen aus einem Katalog ausgewählt. Und dann der festliche Akt.

(O-Ton) Gerlinde Schnell: Liebe Mädchen und Jungen, liebe Eltern und Großeltern, werte Gäste. Die Jugendweihe ist eine Feierstunde aus besonderem Anlaß. Die Mädchen und Jungen nehmen Abschied von der Kinderzeit und werden eingeführt in den Lebenskreis der Erwachsenen. Es beginnt die Jugendzeit.

Nach der Feierstunde geht es weiter im Kreis der Familie.

(O-Ton) Zwei Jugendweihlinge:
1. Wir fahr'n in ein Restaurant und danach, nach dem Essen fahr'n wir dann in unsern Garten, der ist ja gleich in der Nähe. Nach zwei, drei Stunden essen wir da Kaffee, Kaffeetrinken und ja, dann geht's nach Hause.
2. Wir gehn dann mit den Eltern und den Verwandten dann essen, dann gehn wir nach Haus, dann grill'n wir vielleicht noch, und so was alles.

Die Zeit, da Jugendliche sowohl Konfirmation als auch Jugendweihe absolvierten, um allen Ewartungen zu entsprechen, sind vorbei. Eins von beiden, wenn überhaupt.

Nicht als Theologe, aber als Politiker tritt der Jugendsenator von Berlin, Thomas Krüger, auch bei den Jugendfeiern als Festredner auf. Der Theologe Thomas Krüger sagt:

(O-Ton) Thomas Krüger: Das Erwachsenwerden als Ritus, als anthropologische Grundkonstante bindet, verbinden die Generationen, und diese Verbindung zwischen den Generatioenen ist deshalb auch so besonders wichtig, weil wir heute in unserer Gesellschaft quasi nur noch reden über den Generationsvertrag mit der älteren Generation, anhand der Pflegeversicherung zum Beispiel, und sich kaum jemand Gedanken macht, wie kriegen wir die Bindungen, die Beziehungen zu der heranwachsenden Generation hin. Da passieren ja oft sehr große Einschnitte, Risse und Unvermittelbares, und dieses sozusagen zu überbrücken kann man auch mit der Jugendfeier schaffen. Die ganze Diskussion um Jugendgewalt, um Ausgrenzung, um "Entmischung", um eigene Wege, die Jugendliche gehen, die ganzen jugendlichen Subkulturen - diese Diskussion macht eigentlich deutlich, daß es immer schwieriger wird, für eine, ich sag mal pluralistische, freie Gesellschaft die Verbindung zu schaffen zwischen den Generationen, denjenigen, die erwachsen werden und denjenigen, die erwachsen sind.

Im Ansatz ist auch der Bischof der Pommerschen Evangelischen Kkirche bereit, diesen Überlegungen Raum zu geben.

style="margin-left:1cm; margin-right:1cm">(O-Ton) EDUARD Berger: Die Vereinzelung in der Gesellschaft, die innere Leere bei vielen Menschen, die ist natürlich ein schweres Problem. Von daher gesehen, kann man natürlich, aber das ist unter politischen Gesichtspunkten zu sagen, nur wünschen, daß Integrationsangebote die Menschen auch tatsächlich erreichen, damit sie, ja, etwas erwerben und leben können, was sie stützt, was ihnen Überzeugungen und Verhaltenshilfen gibt.

Die Jugendweihe möge dann aber doch bloß ein vorübergehender Spuk sein. Sie sollte überflüssig gemacht werden durch eine weltliche und würdige Schulabschlußfeier für alle Schüler. Thomas Krüger dagegen hält jegliche Neigung zu monopolistischem Bestrebungen für vermessen.

style="margin-left:1cm; margin-right:1cm">(O-Ton) Thomas Krüger: >cite>Ich möchte gern, daß Kirche mehr Spielräume hat, sich mehr verbreitern kann, auch attraktiver wird. Aber das kriegt man nich durch Monopolismus hin, sondern das kriegt man nur durch ein freies sich Stellen auf dem Markt der Möglichkeiten. Und wenn die Kirche nicht selbstbewußt genug ist, dieses zu realisieren, dann denke ich, sollte sie sowieso abdanken.

Gefahren für die Gesellschaft als Ganzes signalisiert die Tatsache, daß beinahe die Hälfte der Jugendlichen von keinem der Initialisierung-, der Bindungskulte mehr erreicht werden. Man wird sich also nicht nur tolerieren, sondern auch begreifen müssen als Gleichgesinnte in der Bewahrung eines humanistischen Minimalkonsenses.

Von der staatlichen Verordnung ist die Jugendweihe übergangen zur Selbstorganisation. Einmal in der Woche ist Sprechzeit bei der Interessenvereinigung humanistische Jugendarbeit und Jugendweihe e.V. Das Büro teilt sich der Verein in Greifswald mit der FDP. In dem Vielzweckgebäude residierte früher die Kreisleitung der Sozialistischen Einheitspartei. Heute ist es bevölkert durch Anwälte, Ärzte, Unternehmensberater, Verkaufsstellen und diverse Vereine.

In diesen Tagen holen die Familien ihre Eintrittskarten für die Feierstunden ab. Die Plätze sind knapp. Die Verdammung durch die Kultusministerin im Vorjahr war im Endeffekt wohl eher eine ungewollte, aber wirksame Werbung. Auch Angriffe aus kirchlichen Kreisen fallen eher auf die Urheber zurück. Die Jugendweiheteilnehmer machen für sich die Probe auf die Glaubwürdigkeit der Demokratie.

style="margin-left:1cm; margin-right:1cm">(O-Ton) Schülerin: 's is ja Meinungsfreiheit. Wenn die anderen Konfirmation machen, können wir Jugendweihe machen. Wir brauchen vielleicht auch mal einen Höhepunkt!


© Manuskript by Juergen Trinkus; Senderechte by Saarländischer Rundfunk, 1994

  • Meine erste Rede zur Jugendweihe, gehalten im Theater Greifswald am 22. Mai 1993
  • Meine letzte Rede zur Jugendweihe, gehalten im Theater Greifswald am 29. April 2000
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