Als Wissenschaftlicher Dokumentar bin ich eigentlich nur umgeschult oder nachstudiert (wer in der Branche ist das nicht?), aber dass ich als marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaftler aus dem Nest des universitären Daseins gefallen bin, war kein so trauriger Vorgang. Auf Radio hatte ich schon Lust seit Kindertagen. Näheres zur Vorgeschichte!

Im Juli 2000 hat mich der NDR Kiel geholt, pardon: nach kiel geholt und mich allhier als gehobener Archivar angestellt.

Das ist mein Milieu

JT an seinem Arbeitsplatz im LFH Kiel Mein Arbeitsplatz ist hier anzuschauen!

Mein Arbeitsraum liegt in den technischen Eingeweiden des Funkhauses und ist herrlich ruhig (meist) und abgelegen. Ich teile ihn mir - und zwar gern! - mit Christiane. Überhaupt, mit den Kolleginnen habe ich bisher immer riesig Glück gehabt. Ob das auch an mir liegt? Jedenfalls vom Sitzen unter Kopfhörern muss ich Pause machen und hoffe, dann Erwin und die Kolleginnen zu treffen.

Zum Kaffee treffe ich sie gelegentlich, die lieben Kolleginnen vom Schallarchiv. Unser Pausentreff ist der Abhörraum.

Digitalfoto: Archivisten im Pausenraum Wir in der Pause!

Auch in diesen Momenten ist das Schallarchiv für die "Kundschaft" bereit. Vor allem Musik fürs Fernsehen und Geräusche fürs Radio, gelegentlich auch mal alte Wortbeiträge mit historischem O-Ton werden verlangt.

Digitales Gruppenfoto im Pausenraum Von links nach rechts: Kirstin notiert einen Recherchewunsch, Uschi, Christiane und ich

Der Arbeitsinhalt

Bald werden die aufbewahrten Programmstücke der letzten 50 Jahre in einen digitalen Massenspeicher wandern, um von dort für die Kollegen Journalisten abrufbar zu sein. Damit sie dann nicht in einem gewaltigen Heuhaufen zwischen nichts sagenden ID-Nummern und wenig sagenden Titeln herumstochern müssen, ist dokumentarische Aufbereitung nötig. Hier setzt mein Job an. Die alten Bänder werden formal in einer Datenbank erfasst und ebendort inhaltlich erschlossen, also mit Personenangaben, Ereignisbezügen, Angaben zum Charakter des Beitrags und Suchbegriffen u.a.m. versehen. Dazu müssen sie abgehört werden, wobei sich nicht selten erweist, dass der tatsächliche Inhalt nicht ganz dem entspricht, was auf den Bandpässen steht.

Noch was auf die Ohren gefällig? Ein Spruch, der mir in den Ohren klingt, in mein Mikrofon gepsrochen 1994. Das stammt aus einer Zeit, als ich "fremd" ging als Journalist. Zu Heinz Gittig, dem großen Zeitungsdokumentar, gibt es ein Beitragsmanuskript von mir.

Mein Traum

Ohne höheres Ziel konnte ich noch nie richtig arbeiten. Meine Utopie hier ist, dass eines - nicht allzu fernen - Tages eine Art Radio on deamand von uns angeboten wird, wo der Nutzer in alten Lesungen, Hörspielen und Reportagen, Musiksendungen, FEatures und Programm-Mitschnitten herumhorchen kann. Dafür müssen diese Stücke, die des Wiederhörens wert sind, natürlich entsprechend präsentiert werden, also mit Hintergrundinformationen angereichert sein. Das wäre eine lohnenswerte Informationsveredelung. Aber auch bestimmte Tonträgerprojekte spuken mir im Kopf herum.

Man könnte auch bescheiden anfangen mit einem Fundstück der Woche zum Beispiel. Das ist nicht eben neu. Das gibt es schon beim Projekt Erinnerungen für die Zukunft", wo ich ja auch gearbeitet habe.

Ich könnte mir auch so manches Fundstück auf einem Schalarchivportal vorstellen. Zum Beispiel dies. In Kiel fand 1982 eine wissenschaftliche Veranstaltung über den Zusammenhang von Wohnbedingungen und Kriminalität statt. Kiel-Mettenhof wurde als Anschauungsobjekt genommen. Prof. Mergen aus Mainz sagte etwas Waises im schönsten Rheinländisch.

Vorgeschichte

Als Gesellschaftswissenschaftler hat mich nach dem Ende der DDR vor allem die Frage bewegt: Was ist eigentlich geschehen? Genauer: Was wollten wir, und woran ist es gescheitert? Davon zeugen meine Wendetexte.

Aber ein bloß rückwärts gewandtes Denken füllt mich niemals aus. Und wenn nun mal alles neu geworden ist, muss es auch interpretiert werden und beherrschbar sein. Als ich noch im Fernstudienbereich Soziologie Leute unterrichtete, die noch vorm kompletten Abwickeln ihr Philosophie-Fernstudium zu Ende bringen wollten, da habe ich für die Hansestadt Greifswald einen Wegweiser Hilfe und Selbsthilfe in und um Greifswald entwickelt, der vielleicht meine erste dokumentarische Arbeit ist.

Da ich schon zu DDR-Zeiten versucht habe, eine Art Interessenvereinigung blinder/sehbehinderter Akademiker im Rahmen des Blinden- und Sehschwachen-Verbandes der dDR (BSV) zu organisieren, woran aber kaum jemand wirklich interessiert war, weil es allen verlässlich gut ging, da hatte ich mich am DVBS orientiert, dem in Marburg angesiedelten Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf.

Über diese Kontakte erfuhr ich nun von einem Projekt der Stiftung Blindenanstalt Frankfurt a.M.

Absolventen des IID (Institut für Information und Dokumentation Frankfurt a.M.) hatten sich in Zusammenarbeit mit dem SWF (Südwestfunk) ein Projekt ausgedacht, dessen Ziel es war, Blinde/Sehbehinderte zu wissenschaftlichen Dokumentaren für den Hörfunk auszubilden. So absolvierte ich 1992-1993 ein postgraduales Studium, das damals an der Uni Potsdam angesiedelt war (inzwischen an der FH). Die praktische Ausbildung erhielt ich im Schallarchiv des SR (Saarländischer Rundfunk). Das war eine wunderbare Zeit, in der ich vor allem das Arbeiten mit der Datenbank WOSAD erlernte und mich auch in vielerlei Radioarbeiten ausprobieren konnte, was sich z.B. in 10 Folgen der von Manfred Spoh betreuten Sendereihe "Lieder und Chansons" niederschlug.

Mit diesem Knowhow meinte ich ausgezeichnete Karten für die Jobsuche beim NDR in Mecklenburg-Vorpommern zu haben. WOSAD, die Datenbank, die ich bestens kannte, war für Schwerin wie auch Hamburg etwas Neues. Aber als ich 1994 kam, waren dann doch schon alle Karten ausgeteilt, sprich Planstellen besetzt.

In Schwerin fand ich glücklicherweise einen wichtigen Förderer, dessen politische Verortung von der meinen weit entfernt liegt. (Auf Lechts und Rinks ist an anderer Stelle einzugehen!) Für mich war Dietmar Riemer immer ein verlässlicher, ermutigender Partner. Er gab mir die Chance, mich im regionalen Hörfunkjournalismus zu versuchen (Horch! zum Beispiel Die Geschichte von der "Kapelle Uschi"

Im September 1994 fragte mich der Schweriner Hörfunkchef, ob ich in einen Zeitvertrag eintreten möchte, wo es um die Sichtung der Tonträgerhinterlassenschaft der Sender Rostock, Schwerin und Neubrandenburg ging. Ich partizipierte also am Glück von Bernd Kahlauch, der als "Aktuell"-Chef zur Sachsenanhalt-Welle wechselte. Diesen Job im Projekt "Erinnerungen für die Zukunft" habe ich dann professionalisiert, und Dietmar Riemer sorgte dafür, dass der Vertrag bis an die Grenze des personalrechtlich Machbaren verlängert wurde.

So konnte ich dazu beitragen, dass jetzt der Tonträgeraltbestand der DDR-Nordbezirke als ein in sich geschlossener Bestand genutzt werden kann. Das ist ein regionales Stück klingendes Gedächtnis, insbesondere für die Wendejahre.

Aber auch für mich musste sich nun alles wenden. Dass ich einmal die Tonträger-Wort-Hinterlassenschaft des Westradios aufarbeiten würde, hätte ich mir weder so noch anders träumen lassen; aber es ist nicht der schlechteste Tagtraum. Es ist sogar mehr - am Meer...

 
Kiel, den 10.4.2001
Erstellt am 10-04-2001Zuletzt geändert am 20.02.2005