Übersetzer - die Schriftsteller hinter den Schriftstellern: zur künstlerischen Identität der literarischen Übersetzer

Darf ein Übersetzer über seinem Schriftsteller stehen? Darf die Wiederschöpfung das Original überstrahlen?

Harry Rowohlt ist so einer, der sich schon mal über den Schöpfer seiner Vorlagen erhebt. "Ein guter Übersetzer kann "mäßigen Autoren aufs Fahrrad helfen", er habe das bei David Sedaris‘ Bestseller "Nackt'" getan: "Im Deutschen liest sich's ganz gut, aber das Original - naja."

Marlis Prinzing, welche diese Äußerung festgehalten hat, ist wohl der Chuzpe des Meisters erlegen und sehr auf den eigenen Tellerrand fixiert, wenn sie über den Paradiesvogel der Szene schreibt: "Harry Rowohlt gehört zu den Übersetzern, die berühmter sind als viele der Autoren, die er übersetzt hat." (vgl. "Zwischen den Zeilen lesen und fühlen" von Marlies Prinzing, © Schwäbische Donauzeitung/Südwestpresse, 25. August 2000!)

Zuweilen ziehen auch Kritiker den Übersetzer dem Originalautor vor. So schrieb Roland H. Wiegenstein in seiner Besprechung von Umberto Ecos "Baudolino" in der "Frankfurter Rundschau" vom 13.9.2001:

"Der Übersetzer Burkhart Kroeber hat Ecos Buch um einiges eleganter gemacht, als es im Original ist. Eco schreibt ein eher lässiges Italienisch; Kroeber bemüht sich, die in dieses Buch investierte Intelligenz auch dort hervorzutreiben, wo sie bei Eco selbst etwas pedantisch wirkt."

Soll ein Text wortgetreu übersetzt werden oder sinngemäß? - Das ist das ewige Spannungsfeld, in welchem sich der Übersetzer als Handwerker und Künstler zu bewegen hat. Am besten, es gelingt ihm, beides zu vereinen.

Im Zweifelsfall wird im Allgemeinen dem Sinngemäßen der Vorzug gegeben. Burkhart Kröber dazu a.a.O.: "Was mich beim Neuübersetzen der «Promessi Sposi» angetrieben hat, war der Wunsch, dem deutschen Leser möglichst zu vermitteln, was den Reiz dieses Romans im italienischen Original ausmacht, also den Text so vorzuführen, dass der deutsche Leser nicht nur den Inhalt, sondern auch die Art seines Vortrags erfährt." Kroeber bezieht sich hier auf seine Neuübersetzung des Romans "Die Brautleute" von Alessandro Manzoni aus dem Italien des 17. Jahrhunderts.

Mit der Neuübersetzung eines Stückes Weltliteratur, das schon Ehrenbürgerrechte im deutschen Literaturkanon besaß, haben auch Swetlana Geier und Matthias Jendis eine für Übersetzer ungewöhnliche Prominenz erlangt. Wer weiß schon, von wem Alexander Solschenizin ins Deutsche übertragen wurde? Bei Fjodor Dostojewski sieht das schon anders aus, denn da hat der Leser jetzt die Wahl zwischen einer bejahrten und betulichen Übersetzung und derjenigen, zu der Swetlana Geier angetreten ist. (Zum Weiterlesen: Interview © "Rheinischer Merkur", 17/2000!)

"Moby-Dick oder der weiße Wal" von Herman Melville war ein in Deutschland beliebter Jugendroman bis Matthias Jendis kam und zu einer Neuentdeckung des Buches führte, indem er seiner Neuübertragung die Sprachmächtigkeit des großen Epos einhauchte, die für Leser der Orginalausgabe oder der italienischen Übersetzung, wie man sagt, schon selbstverständlich war. Die gewohnte deutsche Ausgabe war eine gestutzte (wohl aber auch um einige schwer genießbare Elemente erleichterte).

Der Herausgabe der "Moby-Dick"-Neuübersetzung zum 150. Jahrestag der Veröffentlichung des Orginals hatte eine konflikthafte Vorgeschichte. Am Ende lagen zwei umfassende Übersetzungen vor, von denen letztlich die vom Robert-Louis-Stevenson- und Mark-Train-Übersetzer Friedhelm Rathjen verworfen wurde, die sich eng und wortgenau an den Formulierungen Melvilles entlang gehangelt hatte. Dem Problem der Adäquatheit hat Dieter E. Zimmer in "Die Zeit" sehr interessante Erörterungen gewidmet. Herausgegriffen dazu hier nur diese Sätze:

Der unübersehbare Hauptunterschied zwischen beiden Fassungen besteht jedoch darin, dass die von Jendis in der Tat gut lesbar ist, die von Rathjen nur mit etlicher Mühe. Sind Jendis und der Hanser Verlag also einer „falsch verstandenen Lesbarkeit“ aufgesessen?
Der reine Stümper übersetzt holterdipolter und Wort für Wort, so wie er sie in seinem Gedächtnisschwamm oder notfalls im Wörterbuch vorfindet (...)
Ein richtiger Übersetzer geht ganz anders vor. Als Erstes fragt er: Was bedeutet dieser Satz? Im Kopf, nicht auf dem Papier erzeugt er sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Hilfsmitteln eine vollständige Bedeutung des Satzes, in der einzelne Wörter gleich welcher Sprache nur sozusagen als Platzhalter fungieren. Als Zweites stellt er die entscheidende Frage, die der Stümper niemals stellt: Und wie sagt man das nun auf Deutsch? Da die Sprachen einzelne Bedeutungen mit ganz verschiedenen Mitteln ausdrücken, muss er sich an diesem Punkt oft von den Wörtern, der Idiomatik und der Grammatik des Originals lösen. So kommt er immerhin zu einer näherungsweise „richtigen“ Übersetzung.
Der wahre Könner begnügt sich dann aber nicht mit der Abbildung der Bedeutung. Er versucht auch, die Sprachtextur abzubilden, und stellt sich sofort eine dritte Frage: Sagt „man“ es in der Quellsprache eigentlich so wie in der Vorlage? Wie weit und in welche Richtung weicht diese von der heutigen Normalsprache ab? Dann versucht er, seinem Text die gleiche Distanz einzubauen.
Rathjens Übersetzung wirkt wie ein Versuch, die zweite Frage („Wie sagt man das auf Deutsch?“) unbedingt zu vermeiden. Er geht davon aus, Melvilles Text sei „eigenwillig, dunkel, ungehobelt; fremd“, „handwerklich völlig verkorkst“, und unternimmt es, das Befremdende an der Sprache des Moby-Dick in ein ebenso befremdendes, verkorkstes Deutsch zu überführen."

Weitere Positionen finden sich in "Schreibheft", Nr.57, Oktober 2001!Mehr publizistische Beiträge zu dem lehrreichen Streit um die richtigste Übersetzung von "Moby-Dick" in einer Liste der "Schreibheft"-Redaktion!

Dieter E. Zimmer gewinnt dem Fall die grundsätzlichen Einsichten ab.

"Zum Jubiläum von Moby-Dick sind gleich zwei neue deutsche Übertragungen auf den Plan getreten, nicht nebeneinander, sondern gegeneinander. Es ist wieder einmal ein „Fall“ aus der Übersetzerszene, die üblicherweise keine Schlagzeilen macht – und diesmal einer, der sich lohnt, denn er hat keine Schurken und führt schnurstracks zu der Grundfrage, die sich jedem stellt, der eine Übersetzung beurteilen will: Wann ist eine Übersetzung richtiger als eine andere?"

Das Problem der latenten öffentlichen Unterbewertung der Übersetzer ist allbekannt, zum Teil in der Natur der Sache begründet (nämlich im faktischen Primat des Orginalautors) und von mehreren Seiten wird auch einiges getan für die Ehre der Übersetzer und damit für die Gerechtigkeit ihnen gegenüber. Literaturkritiker - wenn sie schon nicht in der Lage sind, die Übersetzung am Original zu messen - erwähnen heutzutage wenigstens in aller Regel die Schöpfer der deutschen Fassung des besprochenen Werkes. Rezensenten mit entsprechender Qualifikation beziehen die Übersetzung in ihr Urteil ein. Dafür hier ein schönes Beispiel aus © "Die Zeit", 23/2001 über Richard Millet: "Der Stolz der Familie Pythre", Alexander Fest Verlag, Berlin 2001:

"... und jeder dieser Sätze hat das, was wir ja immer erwarten und doch nur selten so bekommen, dass nämlich etwas Fassbares drinsteht, dass sie randvoll sind mit Sachen und Gegenwart. (Was auch der glanzvollen Übersetzung von Christiane Seiler zu danken ist.)"

Man beachte im Zitat allerdings die Interpunktion: Die Übersetzung wird in Parenthese behandelt.

 

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Erstellt am 20.12.2002Zuletzt geändert am 06.01.2003